Sei mal nett – für guten Diskurs
Das Internet sollte eigentlich ein Raum der Freiheit und Unabhängigkeit sein. Tatsächlich schafft es das Internet in vielen Fällen genau ein solcher Raum zu sein und immer wieder gibt es sehr anregende sowie konstruktive Diskussionen auf Twitter, Reddit und Co.
Tatsache ist aber auch, dass Diskussionen im Internet oft sehr toxisch sind, sich auf persönliche Attacken und gegenseitige Extremismusanschuldigungen beschränken. Ein wichtiger Faktor für diese schlechten klimatischen Diskursbedingungen sind Trolle. Also Menschen oder Roboter, die darauf aus sind, die Atmosphäre zu zerstören und Menschen mit unterschiedlichen Sichtweisen zu spalten.
Das in Riga ansässige Center of Excellence der NATO mit dem Namen STRATCOM hat in seinem dritten Robotrolling Report des Jahres 2019 beschrieben, wie sich ein Reddit Post der Russischen Internet Research Agency (die bekannt für ihre Troll-Aktivitäten ist) auf das Klima der darauffolgenden Diskussion ausgewirkt hat.[i]
Nach einem derartigen Troll-Post hat sich die Diskussion der restlichen echten Nutzer entscheidend geändert. Die kognitive Komplexität der Debatte ist infolge des Posts signifikant gesunken. Von einem nuancierten Austausch, bei dem auch verschiedene Meinungen Platz und Berechtigung haben, hat sich das Gespräch also in eine deutlich simplere und engstirnigere Richtung entwickelt.
Auch haben die ad-hominem Argumente, also Attacken auf die Identität der anderen Nutzer, infolge des Postings drastisch zugenommen.
Und während die ad-hominem Attacken nach einer gewissen Zeit wieder abnahmen, war die Toxizität der Diskussion auch mehr als hundert Kommentare nach dem eigentlichen Troll-Posting immer noch signifikant höher als vor der Troll-Attacke. Ein einziger Toll-Post hat also das Klima der Debatte langfristig derber und respektloser werden lassen.
Trolle können das Internet als Raum der Unabhängigkeit und Freiheit also mit sehr einfachen Mitteln, wie einem einzigen bösartigen Posting, entscheidend gefährden. Doch mit dieser Feststellung ist noch niemandem geholfen. Die Frage ist, wie man mit diesen Trollen umgeht, um ihren Einfluss so gering wie möglich zu halten.
Klar, man könnte jeden Troll offen konfrontieren und anschuldigen. Die Gefahr ist nur, dass man plötzlich hinter jeder konträren Meinung und jeder unkonventionellen These einen Troll vermutet. Darüber hinaus ist es den Trollen reichlich egal, ob man sie als Trolle bezeichnet. Was sie wollen, ist die Debatte zu stören und das Diskussionsklima zu zerstören. Wenn sie uns dazu bringen, uns zu echauffieren und mit ad-hominem beziehungsweise ad-troll Attacken gegen sie zu arbeiten, haben sie ihr Ziel erreicht.
Die Lösung, die auch Destin Wilson Sandlin, ein US-amerikanischer Ingenieur und Wissenschafts-You-Tuber vorschlägt: so tun, als ob es gar keine Trolle gäbe und mit jedem Nutzer wie mit einem ganz normalen Menschen kommunizieren.
Anstatt die Trolle selbst zu bekämpfen, bekämpft man die negativen Effekte, die sie produzieren. Man sorgt dafür, dass die Diskussion nicht zu engstirnig wird, indem man andere Meinungen aufgreift und wertschätzt. Man sorgt dafür, dass es zu keinen Identitätsattacken kommt, indem man selber keine ad-hominem Argumente vorbringt und sich auf keine ad-hominem Argumente anderer einlässt. Man sorgt dafür, dass der Diskurs nicht zu toxisch wird, indem man selbst sachlich und unpathetisch bleibt.
Zum Weiterlesen und Weiterhören:
https://www.stratcomcoe.org/robotrolling-20193
https://www.youtube.com/watch?v=soYkEqDp760
[i] Natürlich hat STATCOM nicht einen einzigen Post analysiert, sondern bezieht sich auf eine Studie im Zuge derer mehr als 16.000 Posts der Russischen Internet Research Agency analysiert und ausgewertet wurden.