noah leidinger

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Affekt-Heuristik & toxische Emotionen

“Psychologists have also noted an affect heuristic, whereby people who are experiencing strong emotions, such as fear, tend to extend those feelings to unrelated events.” - der Nobelpreisträger Robert Shiller in seinem Buch “Narrative economics.”

Ein dezisiver Grund, dem eigenen Denken in Krisenzeiten nicht unhinterfragt zu vertrauen, ist die sogenannte Affekt-Heuristik. Investoren halten einen Aktienmarktcrash für wahrscheinlicher, wenn sich in den letzten 30 Tagen ein Erdbeben in der Nähe ihres Wohnortes abgespielt hat. Dabei hat ein lokales Erdbeben so gut wie gar nichts mit der globalen Entwicklung der Aktienmärkte zu tun.

Grund für diese irrationale Entscheidung ist die evolutionär tief verankerte Denkabkürzung des Affekts. Wenn wir eine sehr intensive Emotion wie Angst oder Freude empfinden, übertragen wir diese Emotion auf unser Denken in allen Lebensbereichen, auch wenn die Ursache der Emotion mit diesen Bereichen gar nichts zu tun hat.

Doch die Affekt-Heuristik und ihre Wirkung auf die menschliche Kognition gehen weit über intensive oder offensichtliche Emotionen hinaus, wie der US-amerikanische Psychologe Paul Slovic in seinem Paper „The affect heuristic“ beschreibt.

Teilnehmer einer Studie mussten die Attraktivität von Wetten auf einer Skala von 0 (nicht attraktiv) bis 20 (sehr attraktiv) bewerten. Bei der ersten Wette hatte man eine Chance von 7/36, neun US-Dollar zu gewinnen. Diese Wette bekam ein Rating von 9.4. Eine andere Wette bot ebenfalls mit einer Wahrscheinlichkeit von 7/36 den Gewinn von 9 US-Dollar, doch sie bekam ein Rating von 14.9. Der Unterschied: bei der zweiten Wette gab es mit der Wahrscheinlichkeit von 29/36 einen Verlust von fünf Cent.

Nein, es handelt sich hier um keinen Tippfehler. Die zweite Wette mit Verlust, wurde attraktiver bewertet als die erste Wette ohne Verlust. Der Grund: auf Basis der Affekt-Heuristik fokussieren wir uns bei Entscheidungen auf jenen Faktor, der die deutlichsten und stärksten Emotionen auslöst.

Ein alleinstehender Geldbetrag von 9 Dollar ist emotional schwer einzuschätzen. Darum fokussiert sich das Denken auf die Wahrscheinlichkeit von 7/36 und die ist nicht sehr attraktiv. Wenn man aber einen Verlust von 5 Cent in die Wette einbaut, fokussiert sich der emotional getriebene Denkapparat auf die Differenz der beiden Geldbeträge. Im Vergleich zu 5 Cent hat der Gewinn von 9 Dollar plötzlich einen ganz anderen Stellenwert.

Ein weiteres Beispiel: Auf der gleichen Skala von 0 bis 20 ließ man Teilnehmer die Attraktivität lebensrettender Maßnahmen bewerten. Mit der ersten Maßnahme konnten 150 Menschenleben gerettet werden, mit einer zweiten Maßnahme 98% von 150 Betroffenen und mit einer dritten Maßnahme 85% von 150 Betroffenen. Das Ergebnis: Die Teilnehmer gaben der ersten Maßnahme das geringste Rating, obwohl sie die meisten Menschen rettet. Der Grund: 150 Menschenleben sind ein diffuser Zahlenwert, den man schlecht einordnen kann. Wenn man aber 98% oder auch nur 85% von 150 Menschen retten kann, ist die positive emotionale Einordnung äußerst simpel.

Die Affekt-Heuristik führt noch zu einem weiteren spannenden Bias, dem sich vor allem Investoren, Ärzte und Politiker bewusst sein müssen. Wir Menschen stellen einen Zusammenhang zwischen dem Nutzen und dem Risiko eines Sachverhalts her, auch wenn gar kein Zusammenhang besteht. Von diesem Denkfehler sind auch Experten nicht ausgenommen.

In einer Studie gab man einigen Teilnehmern Informationen zu den Risiken von Atomkraftwerken und anderen Teilnehmern Informationen zum Nutzen von Atomkraftwerken. Die Informationen zu den Risiken hatten dabei nichts mit dem Nutzen zu tun und vice versa. Und dennoch: Wenn die Teilnehmer positive Informationen zum Nutzen bekommen haben, schätzten sie das Risiko als geringer ein. Wenn die Teilnehmer positive Informationen zum Risiko bekommen haben, schätzten sie den Nutzen als höher ein. Die gleiche Korrelation gab es auch bei negativen Informationen zu Nutzen oder Risiken.

Die Affekt-Heuristik führt also nicht nur zu schlechtem Denken in emotional aufgeladenen Situationen, sondern führt auch zu einem ganz generellen Fehlverhalten, wenn es um die Evaluierung bestimmter Alternativen geht.

Der Affekt, der als erstes unsere Hormondrüsen aktiviert und das Denken verzerrt, ist viel entscheidender, als irgendwelche rationalen Abwägungen.

Zum Weiterlesen:

Shiller, Robert: Narrative economics. How stories go viral & drive major economic events. Princeton: 2019.

http://bear.warrington.ufl.edu/brenner/mar7588/Papers/slovic-affect-heuristic-2002.pdf