noah leidinger

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Altruistische Arbitrage

Für denselben Betrag kann man in den USA ein extrem frühgeborenes Kind auf einer Intensivstation behandeln oder aber hunderte Kinder in Entwicklungsländern vor Masern und Malaria retten.

Wer mit seinem Geld das Leid auf der Welt reduzieren und Gutes tun will, muss sich also im Klaren sein, dass er in Entwicklungsländern effizienter spenden kann als in den USA, Europa und anderen wohlhabenden Gebieten dieser Erde.[i]

Es überrascht nicht unbedingt, dass hier Unterschiede zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern bestehen. Dennoch ist das Ausmaß dieser Diskrepanz durchaus erstaunlich.

Denn rein utilitaristisch betrachtet, hat ein Leben in den USA den gleichen Wert wie ein Leben in Benin oder Guinea. Das Leid von Menschen wird überall gleich gemessen – europäisches Leid ist nicht mehr wert als asiatisches Leid.

Daraus ergibt sich ein Phänomen, welches in Investmentkreisen als Arbitrage bezeichnet wird. Wenn identische Produkte in unterschiedlichen Märkten zu anderen Preisen gehandelt werden, so haben Händler die Chance, Arbitrage zu betreiben: Sie kaufen also das Produkt auf dem günstigen Markt und verkaufen es auf dem teuren Markt weiter. Dadurch gleichen sich die Preise an.

Obwohl wir schon seit Jahrzehnten in der Lage sind, international wohltätig aktiv zu werden, scheinen nur wenige die Arbitragemöglichkeit bei der Leidreduktion erkannt zu haben.

Eine Einheit Leid kann man in Entwicklungsländern weitaus günstiger reduzieren als in Industriestaaten. Rein ökonomisch betrachtet, sollten also die Mittel von Spendern vor allem in diese Entwicklungsländer fließen.[ii]

Dass altruistische Arbitrage immer noch möglich ist, liegt wohl an einem Mangel an statistischem Denken. Menschen spenden in der Regel aus emotionalen Gründen und orientieren sich nicht an Effizienzgesichtspunkten.

Und das Spenden für eine Impfung oder Moskitonetze ist nun einmal weitaus unpopulärer als das Spenden für ein armes Kind mit einer seltenen Erkrankung.

Zum Weiterlesen:

Singer, Peter: The most good you can do. How effective altruism is changing ideas about living ethically. New Haven: 2015.

[i] Natürlich kann man den Effizienzbegriff in diesem Zusammenhang moralisch hinterfragen. Darum soll es aber in diesem Artikel nicht gehen. Dieser Artikel stellt eher die Frage, wieso diese Diskrepanz überhaupt besteht und stellt das Konzept der altruistischen Arbitrage vor.

[ii] Und sie sollten zu effizienten Organisationen fließen.