Bürger als Fitness-Tracker der Stadt
Bristol im Südwesten Englands. Chicago im Nordosten von Illinois. Pittsburgh im Südwesten von Pennsylvania. All diese Städte befinden sich auf dem Weg zu einer Smart-City – einer Stadt, die Unmengen an Daten von Bürgern, Infrastruktur und Umwelt sammelt, um sich so flexibel an die Bedürfnisse der Bewohner (oder Politiker) anzupassen.
In Bristol sollen im Zuge des Projekts „Bristol Is Open“ willige Bewohner Daten von ihren Smartphones mit der Stadt teilen. Damit will die Verwaltung besonders in Bezug auf Energie, Luftqualität und den Verkehr zu einem weltweiten Vorreiter werden. An der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh sollen am gesamten Campus Mikrofone, Kameras, Feuchtigkeits- sowie Vibrationssensoren angebracht werden. Damit können Studenten und Lehrende jederzeit ruhige Räume zum Studieren oder belebte Plätze zum Diskutieren finden. Auch Chicago will sich im Zuge des Projekts „Array of Things“ zu einer innovativen Stadt entwickeln. Sensoren sollen Bürger beispielsweise über wenig befahrene Straßen informieren oder auf eine Luftqualität hinweisen, die besonders gut für Sport geeignet ist.
Normalerweise würde dieser Artikel jetzt in eine Privatsphäredebatte abschweifen. Doch neben dem Thema der Sicherheit und Privatsphäre ändert die Idee einer Smart-City ganz allgemein, was es heißt, ein mündiger, demokratischer Bürger zu sein – so die These von Casey Boyle in ihrem Essay „Pervasive Citizenship through #SenseCommons.“
In der Antike kamen die Bürger am Stadtplatz zusammen und versuchten, in einer rhetorisch-versierten Debatte zu allgemein akzeptierten Lösungen zu kommen. Diese Debatte wird im Zuge der Smart-City von Sensoren abgelöst. Wo früher der Common Sense, also der rationale Verstand der Bürger entscheidend war, übernimmt heute der Sense Commons – das Wahrnehmen der kollektiven Handlungen durch Big-Data.
Man identifiziert die Bedürfnisse und Gedanken der Menschen nicht mehr durch ihre Argumente, sondern durch das Analysieren ihrer konkreten Handlungen. Der Bürger wird zum Fitness-Tracker der Stadt. Während uns die Smartwatch auf dem Handgelenk über das eigene datenbasierte Wohlbefinden informiert, informieren wir die Stadt durch unsere penibel gemessenen Handlungen über ihr Wohlbefinden.
Damit wandert der Raum demokratischer Partizipation weg von einigen wenigen politischen Aktionen, wie dem Wählen oder der Debatte, hin zu unseren kleinen und alltäglichen Handlungen.
Zum Weiterlesen:
https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/02773945.2016.1171695