noah leidinger

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Zerstörungssucht von Protesten

Kaum ein Protest kommt ohne Zerstörung aus. Es werden Feuer gelegt, Fenster eingeschlagen, Denkmäler niedergerissen.

Dafür finden sich immer reichlich Begründungen: Die Trennung von veralteten Denkmälern sei ohnehin schon lange fällig. Die Geldgierigen kann man nur beeinflussen, wenn man sie auf der Ebene des Materiellen beeinflusst.

Doch diese Begründungen sind in den meisten Fällen nicht viel mehr als eine im Nachhinein produzierte rationale Erklärung des eigenen emotionalen Verhaltens. Genau wie man nach dem emotionalen Autokauf allerlei rationale Gründe für die Notwendigkeit des neuen Gefährtes vorbringt.

Und im Fall von Protesten ist es gar nicht die Bösartigkeit oder Emotionalität einiger weniger Menschen. Ein Protest ist immer eine Massenbewegung. Jede Massenbewegung ist aber mehr als die Summe ihrer Teile und entwickelt eine Eigendynamik. Eine ganz charakteristische Eigenschaft dieser Massendynamik ist schließlich die Zerstörungssucht. Elias Canetti hat diese Zerstörungssucht bereits 1980 in seinem Buch „Masse und Macht“ beschrieben und war bei Weitem nicht der erste.

Laut Canetti kommt die Zerstörungssucht vor allem in sogenannten Umkehrmassen vor. Das sind Massen, die sich im Kampf gegen ein etabliertes Machtgefüge entwickeln.

In einer hierarchischen Gesellschaft – also in jeder Gesellschaft – tragen Menschen Distanzlasten mit sich herum. Das sind Kränkungen, Diskriminierungen und andere negative Phänomene, die einem von Höhergestellten zugefügt werden.

In der Umkehrmasse versucht schließlich jeder diese Distanzlasten ganz plötzlich loszuwerden. Man will die Hierarchie zerstören.

Und wo beginnt man logischerweise, wenn man Hierarchien zerstören will? Bei den offensichtlichen Distanzen, die man schon seit der Kindheit gewohnt ist.

Schon als Kind lernt man, dass man Denkmäler nicht angreifen und das Eigentum anderer in Ruhe lassen soll. Scherben bringen nur auf Hochzeiten Glück, in der Öffentlichkeit Fenster zu zerbrechen ist ein absolutes Tabu.

Das Phänomen der Zerstörung im Zuge von Protesten ist also nicht mehr als eine emotionale Entladung, um in einem symbolischen Akt die eigenen Distanzlasten möglichst schnell abzubauen.[i]

Zum Weiterlesen:

Canetti, Elias: Masse und Macht. München: 2020.

[i] „Ist es nicht dennoch gut, wenn man endlich über die Sinnhaftigkeit von alten Denkmälern diskutiert? Ist es nicht schon lange Zeit, dass man sich über diese Dinge Gedanken macht?”

Ja schon, aber seit wann besteht Diskussion und Gedankenmachen darin, dass eine Gruppe von Menschen in einer spontanen Aktion gesellschaftliches Eigentum niederreißt?