noah leidinger

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Dot – die digitale Gefängniswährung

Abseits von Bitcoin, Ethereum und digitalen Zentralbankwährungen hat sich im US-amerikanischen Gefängnissystem eine neue Digitalwährung etabliert. Der US-Staat Louisiana ist bekannt für seine hohe Inhaftierungsrate – von 100.000 männlichen Einwohnern befinden sich Stand 2017 1.387 Bürger in Gefangenschaft.

Louisiana ist die Gefängnishauptstadt der USA und „Angola“ ist ihr einziges Hochsicherheitsgefängnis. Das durchschnittliche Strafmaß der circa 5.200 Gefangenen beträgt 92 Jahre – mehr als 70 Prozent werden das Gefängnis nie verlassen.

Doch genau unter diesen widrigen Umständen hat sich ein modernes und florierendes Währungssystem etabliert. Der Bedarf für eine informelle Wirtschaft abseits des offiziellen Gefängnissystems ist hoch – wer ein Buch bestellt, muss circa 6 Monate warten, bis es seine Zelle erreicht. Die meisten Häftlinge müssen arbeiten, doch ihr Lohn stagniert seit 1970 und war schon damals nicht der höchste. Der Stundenlohn liegt irgendwo zwischen zwei und zwanzig Cent – für harte Feldarbeit.

Anders als die Gehälter sind Preise für Zigaretten und Co. seit 1970 stark angestiegen, und heute teilweise sogar höher als außerhalb des Gefängnisses. So hat sich ein informeller Sektor etabliert – manche Häftlinge produzieren Pralinen, andere bieten moderne Haarschnitte an. Diese Dinge sind zwar streng genommen nicht erlaubt, werden aber geduldet, um die Häftlinge bei Laune zu halten.

Allerdings ist Bargeld in Angola streng verboten und wird auch tatsächlich nicht benutzt – Suchhunde würden Geldscheine problemlos finden. Also muss man diese Dienstleistungen anders bezahlen. Früher verwendete man dafür Dosenmakrelen als Währung.

Doch in den letzten Jahren erhielt die Designerdroge Mojo Einzug in Angola. Das synthetische Cannabis ist schwerer nachzuweisen als natürliches Marihuana und macht vor allem auch länger high – ein entscheidender Faktor für Häftlinge, die der Gefangenschaft erst in einigen Jahrzehnten durch den Tod entfliehen werden.

Für den hohen Bedarf an Mojo war die traditionelle Dosenwährung nicht mehr ausreichend. Weder Dealer außerhalb und innerhalb des Gefängnisses, noch die Wärter, die das Mojo einschleusen, sind an Dosenmakrelen interessiert. Man musste eine neue Währung finden.

1995 führte das Videoverleihunternehmen Blockbuster eine neue Art der Geschenkkarten ein. Diese Karten mit dem Look von Kreditkarten waren nicht nur einmalig gültig, sondern konnten immer wieder aufgeladen werden. Das System war äußerst erfolgreich und immer mehr Einzelhändler boten solche Karten an. Schließlich haben auch Finanzdienstleister ihre Chance erkannt. Die Pre-Paid-Karten der Finanzdienstleister beschränken sich nicht mehr auf ein einziges Geschäft, sondern können überall verwendet werden. Auch ist es möglich, das Guthaben in Cash umzuwandeln.

Visa und MasterCard haben in den USA die sogenannte „Green Dot“ Marke eingeführt. Man kann online einen Account für so eine Karte erstellen – ein Identitätsnachweis ist dabei nicht notwendig. In diversen Supermärkten wie Walmart oder CSV kann man dann kleine Kärtchen zum Aufladen kaufen. Diese MoneyPak-Karten dienen lediglich dazu, die wirklichen Karten mit Geld zu beladen.

Doch eigentlich braucht man die MoneyPak-Karten gar nicht, sondern nur den 14-stelligen Zifferncode, der auf der Rückseite der Karten steht. Und genau das machen sich die Häftlinge zu Nutze.

Bei Besuchskontakten bekommen die Häftlinge von ihren Besuchern den vierzehnstelligen Code. Danach können sie diesen beim Kauf von Mojo und Co. einfach weitergeben. Weder die Karten selbst noch die Ziffern können in irgendeiner Weise auf den Häftling oder dessen Verwandte zurückgeführt werden.

Während Zentralbanken schon seit Jahren überlegen, wie sie eine digitale Währung etablieren können, hat sich in einem der schäbigsten Gefängnisse der USA eine enorm flexible und anonyme Digitalwährung etabliert.

Zum Weiterlesen:

Davies, Richard: Extreme Economies: Survival, Failure, Future. Lessons from the World’s Limits. London: 2019.