noah leidinger

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Erinnerung an die Zukunft

Alle Planungen und Vorhersagen über die fernere Zukunft haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch. Allerdings geht es auch gar nicht um den perfekten Forecast. Vielmehr ist das Ziel ein hilfreicher Plan, der ein möglichst geringes Maß an Fehleinschätzungen beinhaltet.

 In der Praxis trifft man bei der Planung auf zwei große Hürden der menschlichen Psychologie.

1.       Wenn alle über ein Projekt begeistert sind und über die tolle Zukunft philosophieren werden die meisten Menschen ihre Bedenken und Kritiken für sich behalten. Es bräuchte schon einen Menschen mit überaus hoher Courage, der in einem derartigen Setting eine negative Einschätzung von sich gibt.

2.       Man tendiert dazu, die Planung zu stark auf die nahe Zukunft zu fokussieren und wichtige Effekte der Zukunft außer Acht zu lassen.

“From where we stand, the present and the immediate future loom large. Anything beyond that loses focus.” – Annie Duke in ihrem Buch „Thinking in bets. Making smarter decisions when you don’t have all the facts.”

Doch diese Hürden sind nicht unüberwindbar. Die Lösung ist sogar denkbar einfach: Man muss sich an die Zukunft erinnern.

Die erste Methode dafür ist das Backcasting. Dabei geht man von einem positiven Ausgang des jeweiligen Projektes aus. Man stellt sich beispielsweise einen Zeitungsartikel vor, der vom Erfolg des Projektes berichtet. Dann fragt man sich, was in diesem Zeitungsartikel geschrieben steht.

Welche Hürden hat man überwunden? Welche Schlüsselstellen haben zum Ziel geführt? Und so weiter und so fort.

Dieser Perspektivenwechsel mag auf den ersten Blick recht harmlos erscheinen. Die Effekte sind umso erstaunlicher. Laut einer Studie wurde die Genauigkeit von Prognosen durch eine derartige Methode um 30% erhöht.

Doch das erste Problem kann man mit dem Backcasting nicht lösen. In einem enthusiastischen Umfeld – wie es bei gemeinsamen Projekten ja nur zu gerne entsteht – fällt das Kritiküben schwer.

Deshalb empfiehlt der Wissenschaftler Gary Klein die Methode des Premortem. Bei einem Premortem stellt man sich vor, dass das Projekt gescheitert ist. Man blickt wieder auf einen imaginären Zeitungsartikel und identifiziert mögliche Gründe, die zum Zusammenbruch des Projektes führen könnten.

Durch diese Methode wird die unangenehme Kritik zu einem positiven Kreativakt. Man freut sich, wenn man kreative und sinnvolle Bruchstellen gefunden hat und ist sehr gerne bereit, diese zu teilen.

Ein Beispiel für diese Art der Planung liefert Elon Musk. Während seine SpaceX-Ingenieure damit beschäftigt waren, mit dem Baustoff der Carbonfasern zurechtzukommen, hatte er bereits ein offensichtliches aber umso wichtigeres Premortem durchgeführt. Mit der aktuellen Fortschrittsgeschwindigkeit bei den Carbonfasern wäre SpaceX binnen einiger Monate in die Insolvenz gerutscht. Also blieb nichts anderes übrig als auf Stahl zu wechseln, was sich schlussendlich sogar als die bessere Variante herausstellte.

Während die Ingenieure mit ihren aktuellen Problemen aufgehalten waren, half ihm der Fokus auf die offensichtliche zukünftige Bruchstelle, eine langfristig intelligentere Entscheidung zu treffen.

Zum Weiterlesen und Weiterhören:

https://www.researchgate.net/publication/3229642_Performing_a_Project_Premortem

Duke, Annie: Thinking in bets. Making smarter decisions when you don’t have all the facts. New York: 2018.

https://www.youtube.com/watch?v=HPV8Xp3pEpI