Das Gesetz der großen Zahlen ist eines der hilfreichsten Phänomene für Demokratie und Wirtschaft. Kein Wähler muss sich genau richtig entscheiden, kein Investor genau zum richtigen Preis kaufen und dennoch ergibt sich im Schnitt ein optimales Ergebnis.

Blöd nur, wenn nicht der Durchschnitt zählt, sondern der Extremwert. Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat im Zuge ihrer Forschung ein potentes Krebsmedikament entdeckt. Bestandteil dieses Medikamentes ist eine neue Chemikalie, die in ihrer reinen Form als enorm gefährliche Biowaffe fungieren kann.

Die Forscher sind nicht sicher, ob sie das Ergebnis publizieren sollen. Das Krebsmedikament würde zwar vielen helfen, die Biowaffe aber vielleicht noch mehr Menschen töten. 19 von 20 Wissenschaftlern entscheiden sich gegen die Veröffentlichung. Doch einer der Forscher hat eine andere Meinung und publiziert die Ergebnisse.

Die Situation gibt es natürlich auch in der umgekehrten Form.

In einem Komitee haben die Mitglieder oft ein Vetorecht. Sobald sich also ein einziges Mitglied gegen die Entscheidung stellt, wird die Entscheidung nicht getroffen.

Nickt Bostrom und Kollegen bezeichnen derartige Situationen als den Fluch der vielen Einzelgänger.[i]

Die Krux an der Geschichte: Der Fluch der vielen Einzelgänger entsteht nicht dadurch, dass alle gemäß ihren egoistischen Motiven vorgehen. Selbst wenn jeder das Beste für die Allgemeinheit will, gibt es unterschiedliche Einschätzungen davon, was das Beste für die Allgemeinheit überhaupt ist.

Je mehr Mitglieder in der Entscheidung involviert sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es zumindest ein Mitglied mit abweichender Meinung gibt.

Aus Auktionen ist ein ähnliches Phänomen als Fluch des Gewinners bekannt. Die Auktion wird immer vom Bieter mit dem höchsten Angebot gewonnen. Je mehr Bieter teilnehmen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass der erfolgreiche Bieter einen viel zu hohen Preis bezahlt.

Manchmal ist der Fluch der vielen Einzelgänger aber auch ein Segen. Man denkt nur an Whistleblower oder radikale Wissenschaftler, die sich gegen den Konsens stellen und die Menschheit voranbringen.

Dennoch muss sich jeder nonkonforme Entscheider der Gefahr des Fluches der vielen Einzelgänger bewusst sein. Konkret bedeutet das: Man muss seine eigene Einschätzung in Anbetracht dieses Fluches etwas abwerten.

Diesen Trick wenden auch Teilnehmer bei Auktionen an und bieten etwas weniger als sie ursprünglich geplant hatten.

Zum Weiterlesen:

https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/02691728.2015.1108373

[i] In ihrem Paper „The unilateralist’s curse and the case for a principle of conformity.” Sie bezeichnen diese Situation als “Unilateralist’s curse”, was in der direkten Übersetzung „Fluch des Einzelgängers“ entsprechen würde. Da die Situation aber nur in Gruppen von mehreren Einzelgängern auftritt, scheint die Bezeichnung der vielen Einzelgänger passender.