noah leidinger

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Gedankenstützpunkte, Meditation & gesundes Streiten

„Aber selbst Gedanken, so substanzlos sie scheinen, brauchen einen Stützpunkt, sonst beginnen sie zu rotieren und sinnlos um sich selbst zu kreisen; auch sie ertragen nicht das Nichts.“ - Stefan Zweig in der Schachnovelle.

Obwohl dieses Zitat von Stefan Zweig aus den 1940er Jahren stammt, könnte es aktueller nicht sein. Aktueller nicht sein, weil viele Menschen sich in einer hochkomplexen Welt mit einem enormen Überfluss an Informationen, auf Praktiken wie Meditation und Selbstreflexion besinnen.

Meditation und Mindfulness-Praktiken

Diese Praktiken sollen an dieser Stelle keineswegs als sinnlos dargestellt werden. Ganz im Gegenteil ist es sogar wissenschaftlich bewiesen, dass Meditation enorm positive Effekte auf das menschliche Wesen haben kann. Doch man darf es nicht bei der Meditation belassen, sich nicht zu sehr darauf fokussieren.

„Wenn ihr jedes Gift recht auslegen wollt, was ist, das nit Gift ist? Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei.“ – Paracelsus in seinen Defensiones aus dem Jahr 1538.

Während sich Paracelsus mit diesem Zitat auf die Toxikologie von Stoffen bezog, lässt sich das ebenso auf die heute so populären Mindfulness Praktiken übertragen.

Wer nämlich ständig um die eigenen Gedanken kreist, und das passiert auch, wenn man die Gedanken in der Meditation als quasi Außenstehender beobachtet, der wird sich im Kreis drehen und beginnen um sich selbst zu rotieren. Sobald das passiert ist die Selbstbeobachtung nicht mehr gesund, sondern gefährlich für das psychische Wohlbefinden. Sobald das passiert ist die Selbstbeobachtung kein Weg mehr zur Erkenntnis, sondern ein Weg zur vollkommenen Überschätzung der Wichtigkeit des eigenen Empfindens.

Diskurs als wichtigster Stützpunkt

Aktueller kann das Zitat nicht sein, weil es das essentielle Thema des konstruktiven Diskurses betont.

Natürlich kann ein Gleichgesinnter als Stützpunkt dienen. Natürlich kann das Aufschreiben eigener Gedanken als Stützpunkt dienen.

Was aber nötig ist, um das sinnlose Rotieren der eigenen Gedanken um sich selbst zu verhindern, ist ein Stützpunkt der die eigenen Gedankenströme auch einmal heftig durchkreuzt. Ein Stützpunkt in Form eines starken Gegenarguments. Ein Stützpunkt der zu einer vollkommenen Neuordnung der Gedanken und einer Weiterentwicklung selbiger führt.

Stefan Zweigs Botschaft für die heutige Zeit lautet also etwas polemischer formuliert: Willst du wertvolle Gedanken, willst du mentale Gesundheit, dann geh raus und streite.

Zum Weiterlesen:

Zweig, Stefan: Schachnovelle. o.A.: 1943.