noah leidinger

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Kayfabes – die Show-Kämpfe unserer Welt

„I think generally people’s thinking process is too bound by convention or analogy to prior experiences. It’s rare that people try to think of something on a first principles basis.” – Elon Musk, Gründer von Tesla, SpaceX und Co.

Jeder, der sich etwas intensiver mit Elon Musk beschäftigt, ist auf die eine oder andere Weise fasziniert von dieser Persönlichkeit. Und diese Faszination ist gerechtfertigt. Der gebürtige Südafrikaner hat mit Tesla den Elektroautomarkt revolutioniert und die gesamte Branche erstmals richtig in Fahrt gebracht. Mit SpaceX hat er die ersten wiederverwendbaren Raketen entwickelt, die nach ihrem Einsatz nicht herunterfallen, sondern unversehrt landen.

Bei jedem seiner Start-Ups könnte man derartig massive Innovationssprünge auflisten. Doch wie ist es möglich, dass ein einziger Unternehmer Branchen revolutioniert, in denen große Konzerne und ganze Nationen seit Dekaden forschen?

Eine mögliche Antwort liefert das professionelle Wrestling. Das Wort Kayfabe beschreibt das dort vorherrschende Konstrukt an Lügen und Abmachungen, an das sich alle Sportler halten. Die Sportler sind in diesem Schau-Sport keine wahren Gegner, sondern Kollaborateure in einem System von Show-Kämpfen. Sie arbeiten alle zusammen, um das gesamte Konstrukt aufrechtzuerhalten.

Doch während dieses System im Wrestling offensichtlich ist, zieht sich das Konzept des Kayfabe durch viele der essentiellen Bereiche unserer Gesellschaft. Reichend von der Wissenschaft über die Politik bis hin zum Journalismus – so das Argument des US-amerikanischen Mathematikers Eric Weinstein.

Das beste Beispiel liefert der aktuelle Öl-Disput zwischen Saudi Arabien und Russland. Wie der Spieltheorie-Professor Christian Rieck argumentiert, handelt es sich nämlich nur um einen Scheindisput. Die beiden Mächte sind eigentlich Kollaborateure, die gemeinsam die USA bestrafen.

Um das Argument von Weinstein etwas besser zu verstehen hilft ein Blick in die Geschichte des professionellen Wrestlings. Diese Schausportart geht aus dem extrem brutalen aber mitunter recht faden Catch-Wrestling hervor. Die Matches dauerten oft stundenlang nur damit am Schluss einer der Kämpfer mit massiven Verletzungen aufhören musste.

Genau diese zwei Faktoren zeichnen viele andere Lebensbereiche aus: eine grundsätzlich monotone und langweilige Entwicklung für das Publikum auf der einen und seltene aber dafür massive Konsequenzen für die Involvierten auf der anderen Seite.

Natürlich könnten Automobilkonzerne einen großen Teil ihrer Gewinne in innovative Forschung investieren. Doch langfristig innovative Forschung frisst viel Geld und Zeit. Es ist ein langer monotoner Weg zu wirklich marktreifen Entwicklungen. Schlussendlich wird bei ehrlicher Forschung auch nur ein einziger Automobilkonzern den Durchbruch schaffen. Die restlichen Konzerne müssen „mit massiven Verletzungen aufhören“. Keine sehr attraktive Aussicht.

Also formen die Konzerne einen Scheinwettbewerb, in welchem sie sich alle inkrementell mit neuen Verbesserungen der bestehenden Produkte bekämpfen, schlussendlich aber keine Innovation auf den Markt bringen.

Auch in der Wissenschaft liegt die Vermutung eines Kayfabe in vielen Fällen nahe. String-Theoretiker und Anhänger der Loop-Quantentheorie liefern sich seit Jahren einen scheinbar intensiven Konkurrenzkampf. Sie versagen aber beide wirklich bahnbrechendes auf die Wege zu bringen. Doch Versagen ist relativ. In diesen beiden Sparten führen Wissenschaftler beider Seiten eine komfortable Existenz und können sich auch immer wieder publikumswirksame Schlachten liefern. Die Suche nach einer neuen innovativen Idee, die vielleicht eine wirkliche Lösung bieten kann, ist hingegen für keinen der Involvierten sonderlich interessant. Damit würde man nur das Risiko eingehen, sich seiner eigenen Existenz zu berauben.

Das Konzept des Kayfabe ist eng mit dem Konzept des „uninteressantesten Interessanten“ verbunden. Man führt eine Scheindebatte rund um die eigentlich unwichtigen Teile einer Thematik und erspart sich damit die Diskussion über jene Dinge, die wirklich kritisch sind.

Auch in Politik und Journalismus scheint dieses Konzept zumindest teilweise Einzug erhalten zu haben. Ein Großteil des Kampfes zwischen Opposition und Regierenden mag nur ein gemeinsames Schauspiel sein, um wirklich innovative Kräfte und Konzepte aus dem Ring zu halten.

Und noch eine besonders brisante Erkenntnis liefert das professionelle Wrestling. Die verschiedenen Schichten an Lügen sind ab einem gewissen Zeitpunkt so schwer zu durchschauen, dass Lüge zu Realität und Realität zu Lüge wird. So führten einige reine Show-Affären schlussendlich zu Affären im echten Leben.

Diese Erkenntnis ist deshalb besonders brisant, weil wir alle in gewisser Art und Weise Teil und Motor von Kayfabes in bestimmten Lebensbereichen sind und es gar nicht bemerken.

Das Gegenmittel: First-principle-thinking. Eigenständiges Denken ausgehend von Fakten und grundlegenden Wirkmechanismen.

Zum Weiterlesen und Weiterhören:

https://waitbutwhy.com/2015/11/the-cook-and-the-chef-musks-secret-sauce.html

https://www.edge.org/response-detail/11783

https://www.youtube.com/watch?v=QZvqM0oU4S4