Kompetente Anarchie
In den letzten Wochen und Tagen habe ich viele Gedanken des Philosophen Vilém Flusser veröffentlicht. Sehr augenscheinlich ist dabei immer wieder sein Hass gegenüber Nationalismus und Patriotismus. Man kann es sogar noch allgemeiner formulieren. Er hat eine Abneigung gegenüber angeborenen Bindungen, weil er in seinem eigenen Leben erfahren hat, dass Wahlbeziehungen weitaus fruchtbarer sind.
Nun stellt sich natürlich die Frage – wenn nicht Nation, wenn nicht angeborene Beziehungen, was dann?
„Ich engagiere mich an einem Syndikat für Volksschule, wenn ich ein Kind im Volksschulalter habe, aber sobald das Kind etwas älter wird, spucke ich auf die ganze Volksschulsache. Ich hab Ihnen gestern gesagt, ich stelle mir einen konfuzianischen Anarchismus vor; eine Anarchie, die auf Kompetenz aufgebaut ist, wo jede Gruppe eine Zusammenkunft von verschiedenen Kompetenzen ist. Immer wieder gehe ich auf das Schachspiel zurück, weil das so einfach ist. Es muß einen Schachclub geben, wo es Leute gibt, die kompetent für Schachspielen sind. Und in den Schachclub gehe ich, wenn ich Schach spielen will. Wenn ich nicht schachspielen will, werde ich doch nicht, so wie Dichter Körner, aus glühender Vaterlandsliebe im Feld sterben für das Schach, sondern ich werde mich einfach für das Schach nicht mehr interessieren.“ - Vilém Flusser im Gespräch mit Patrik Tschudin.
Flusser stellt sich vor, dass Menschen vermehrt durch Interessen zusammenkommen, unabhängig von nationalen und familiären Grenzen. Es ist der Anarchismus der Kompetenzen. Jeder engagiert sich für das, was ihm gerade wichtig erscheint.
„Ich glaube, wir haben zum ersten Mal die technische Fähigkeit, Geographie und Geschichte zu überwinden und durch Kompetenzen verbunden zu sein, anstatt durch angeborene Bindungen.“ - Vilém Flusser im Gespräch mit Patrik Tschudin.
Ich kann der Idee des Anarchismus der Kompetenzen als tatsächlicher Regierungsform nur wenig abgewinnen. Für umso wichtiger halte ich Flussers Aussage über unsere technologischen Möglichkeiten, neue Bindungen zu kreieren.[i]
Er spricht hiermit nämlich eine der immer noch weitaus minderverwendeten Fähigkeiten des Internets an. Denn für die meisten Menschen dient das Internet einem von zwei – oft auch beiden - Zwecken:
1. Der passive Konsum von Medien. Hier erfüllt das Internet nicht vielmehr als die Rolle von Fernsehen, Zeitungen und Co.
2. Die Verbindung zu Menschen, mit denen man auch offline verbunden ist.
„Make friends over the internet with people who are great at things you're interested in. The internet is one of the biggest advantages you have over prior generations. Leverage it.“ – Patrick Collison.
Wie Patrick Collision richtig betont, besteht die große Chance des Internets aber eigentlich im Kreieren von neuen Beziehungen. Wir haben erstmals die Möglichkeit, uns rund um den Globus mit Menschen zu verbinden, die unsere Interessen teilen.
Meines Erachtens ist das Internet der beste Ort, den es jemals gab, um seine Gedanken mit einer breiten Masse an Menschen zu teilen. Im Grunde ist das einer der Hauptgründe für diesen Blog – Gedanken teilen und so Menschen mit ähnlichen Interessen zusammenbringen.
Wer sich mit anderen Menschen auf Basis von Kompetenzen und Interessen verbinden will, muss die eigenen Interessen und Kompetenzen auch zur Verbindung anbieten.
Zum Weiterlesen:
https://patrickcollison.com/advice
[i] Man bedenke dabei auch, dass dieses Zitat aus dem Jahre 1991 stammt.
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