noah leidinger

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Kritisches Denken – Nonkonformes Denken

„Intellektuelle empfinden sich selbst häufig als «Querdenker», die gegen den Strom schwimmen. Sie betonen ihre Individualität und verabscheuen die «unkritische» Anpassung an Konventionen. Tatsächlich neigen sie jedoch, wie die meisten Menschen, zu einem hohen Grad an Konformismus innerhalb ihrer eigenen Referenzgruppe.“ – Rainer Zitelmann in seinem Buch „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“.

Immer wird davon gesprochen, wie wichtig das kritische Denken ist. Das Problem ist, dass viele nur die Gegenseite kritisch hinterfragen. Auch laut Duden bedeutet kritisch nur, dass man etwas nach bestimmten strengen Maßstäben prüft und beurteilt.

Allerdings werden viel zu selten die eigenen Maßstäbe hinterfragt. Kritisch sein kann jeder, kritisch sein in der eigenen Gruppe nur sehr wenige. Das gesamte Denken wird großteils von den sozialen Gruppen definiert, in denen man sich befindet. Auch kritische Haltungen und Standpunkte zu gewissen Themen sind meist bloße Kopien von Gruppenideen. Es stimmt nämlich nicht, dass Massen nicht kritisch sind, Massen sind nur nicht gegen sich selbst kritisch, sondern gegen die Anderen.

Kritisches Denken und Denken abseits des Konsenses sind also nicht das Gleiche. Von letzterem brauchen wir viel mehr, Menschen die eine kritische Haltung zu irgendeinem Thema einnehmen können gibt es hingegen zuhauf. Einfach kritisch sein ist einfach, zu bekritteln gibt es immer etwas.

Was zählt ist, wirklich neue Gedanken zu haben und den Konsens zu hinterfragen. Genau das fordert den Geist wirklich heraus, im Gegenteil zum oft sehr stumpfen kritischen Denken.

 “Just because a large number of well-credentialed experts believe something in common doesn’t mean that it’s necessarily wrong. But if they’ve reached consensus, that’s the way to bet. Somehow, people have to learn that consensus is a huge problem.” – Eric Weinstein im Tim Ferris Podcast.

Wenn man es ernst meint mit dem nonkonformen Denken gilt es beim Wort Konsens hellhörig zu werden. Wenn es um mathematische Beweise oder auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse geht, spricht man nicht von Konsens. Von Konsens spricht man dann, wenn die Situation komplex ist, man einen gewissen Zusammenhang nicht einwandfrei beweisen kann, sich aber dennoch auf diesen Zusammenhang geeinigt hat. Konsens gibt also Sicherheit vor, wo noch keine ist. Konsens gibt an, dass man nicht mehr weiterforschen muss, wo es noch viel zu forschen gibt.

Natürlich ist nicht jeder Konsens falsch oder deutet in die verkehrte Richtung. Der wissenschaftliche Konsens zum Klimawandel scheint beispielsweise recht überzeugend. Dennoch sollte man nonkonforme Stimmen nicht sofort ablehnen. Konsens kann und muss immer hinterfragt werden.

Wenn man es ernst meint mit dem nonkonformen Denken braucht man außerdem eine Bereitschaft sich unbeliebt zu machen. Tatsächlich tun sich beliebte Menschen oft sehr schwer mit nonkonformen Gedanken, weil sie mehr aufs Spiel setzen, als eine Person, die ohnehin unbeliebt ist, oder keinen großen Wert auf Beliebtheit legt. Der einfachste Schritt, um gegen Gruppendenken vorzugehen ist also, sich von der Gruppe zu distanzieren.

Wenn man es ernst meint mit dem nonkonformen Denken, geht man ein erhebliches Risiko mit voller Selbstverantwortung ein. Aus diesem Grund investieren e.g. nur sehr wenige Investoren und Fondsmanager gegen den Konsens der Märkte. Wenn man sich einem falschen Konsens anschließt, kann man sich immer damit herausreden, dass alle anderen den Fehler auch gemacht haben. Wehe aber dem, der gegen einen richtigen Konsens handelt, er hat keine Ausrede und muss den Fehler auf die eigene Kappe nehmen.

Nonkonformes Denken ist nicht einfach, doch für Fortschritt, Innovation und Freiheit unabdingbar.

Zum Weiterlesen:

https://fhww.files.wordpress.com/2018/08/131-eric-weinstein.pdf

Zitelmann, Rainer: Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung. Eine Zeitreise durch fünf Kontinente. München: 2019.

https://web.stanford.edu/~kcook/groupthink.html

Dalio, Ray: Principles. New York: 2017.