noah leidinger

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Resilienz kommt selten allein

Aktuell halten sich die Rufe nach mehr Resilienz unserer Wirtschaft noch in Grenzen. Doch sobald die gesundheitliche Krise überstanden ist, werden viele mit der talebschen Forderung nach mehr Antifragilität an die Türen unserer Politiker klopfen.

Diese Politiker sind dann vor allem gefordert, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Denn politische Maßnahmen sind vor allem in der Wirtschaft immer ein Balance-Akt. Ein Balance-Akt zwischen Sicherheit/Antifragilität auf der einen sowie Wachstum/Effizienz auf der anderen Seite.

Einige Ökonomen der OECD haben sich in einer historischen Analyse von 100 Ländern intensiv mit der Frage beschäftigt, wie sich wirtschaftspolitische Maßnahmen auf das Wachstum beziehungsweise die Stabilität einer Wirtschaft auswirken.

Als Sieger dieser Analyse gingen Maßnahmen zur Erhöhung der Qualität politischer Institutionen hervor. Korruptionsbekämpfung, politische Stabilität, regulatorische Effizienz. All diese Faktoren haben sowohl das Risiko einer Rezession verringert als auch das Wirtschaftswachstum erhöht.

Die meisten regulatorischen Maßnahmen, die e.g. eine maximale Schuldenquote festgelegt haben, wirkten sich hingegen nur auf die Antifragilität positiv aus, haben im Gegenzug aber auch das Wachstum eingedämmt. Ein genau umgekehrtes Bild zeigen die Finanzmärkte. Eine Liberalisierung und Öffnung der Finanzmärkte hat zwar zu mehr Wachstum geführt, diese Effekte wurden von einem weitaus höheren Stabilitätsverlust aber mehr als ausgeglichen.

Spannend: In Bezug auf die Öffnung der eigenen Märkte für ausländische Investoren, hatten Direktinvestitionen einen positiven Effekt auf das Wachstum und keinen negativen Effekt auf die Stabilität. Portfolio-Investitionen, im Zuge derer sich Anleger nur Vermögenswerte aus anderen Ländern kaufen, in diesen Ländern aber nicht geschäftlich aktiv werden, hatten hingegen nur geringe Effekte auf das Wachstum und negative Effekte auf die Stabilität.

Soweit sind diese Ergebnisse noch nicht sonderlich überraschend und würden wohl auch einen breiten Konsens unter Politikern finden. Einen Konsens für etwas mehr Regulation der Finanzmärkte und eine höhere Qualität politischer Institutionen.

Doch es gab noch zwei Effekte, die sich positiv auf das Wachstum und auf die Antifragilität auswirkten. Zum einen ist das eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die sich für die Bildung und Vermittlung von Arbeitslosen engagiert. Zum anderen sind das geringe Zölle auf Importe.

Ein freier Handel von Produkten und Dienstleistungen hat also historisch gesehen nicht nur das Wachstum erhöht, sondern sich auch positiv auf die Antifragilität ausgewirkt.

Natürlich zeigt uns die aktuelle Krise, dass eine zu starke Abhängigkeit von Handelspartnern negative Konsequenzen haben kann, vor allem wenn es um essentielle Güter im Bereich der Medizin oder Lebensmittel geht.

„Wir müssen richtig globalisieren. Nicht nur mit China handeln, sondern breit. Dann sind wir relativ gut abgesichert.“ – Reiner Eichenberger in NZZ Standpunkte.

Doch wie der Schweizer Ökonom Reiner Eichenberger in einem kürzlich erschienenen Interview mit der NZZ betont, ist die Lehre, die die meisten Menschen aus der aktuellen Krise ziehen, die falsche. Die Krise zeigt uns nicht, dass Globalisierung schlecht ist, sondern, dass wir falsch – also zu fragil – globalisiert haben.

Dazu kommt, dass der Recency-Bias unser Denken über ökonomische Resilienz viel zu stark in Richtung einer Resilienz gegenüber Pandemien lenkt. Doch ein ökonomisches System muss nicht nur gegenüber Pandemien, sondern ganz allgemein resilient sein. In diesem Zusammenhang muss man breit gefächerten historischen also mit Sicherheit mehr Wichtigkeit schenken als unseren kurzfristigen Covid-19-Erkenntnissen.

Also ein Ja zu mehr Antifragilität und Resilienz aber ein Nein zu einem verzerrten Fokus auf eine epidemie-resiliente Wirtschaft und ein Nein zu Maßnahmen, die zwar gut klingen, empirisch gesehen aber das Gegenteil ihrer Intention bewirken.

Zum Weiterlesen und Weiterhören:

https://www.nzz.ch/meinung/die-schweiz-im-wuergegriff-von-corona-reiner-eichenberger-ld.1549699

https://www.oecd-ilibrary.org/economics/strengthening-economic-resilience_6b748a4b-en