noah leidinger

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Semantisches Stoppschild

«Wieso regnet es?

Weil Gott es regnen lässt.

Wie funktioniert das Gehirn?

Durch die komplexe Interaktion unzähliger Neuronen.»

Auf den ersten Blick haben diese beiden Statements reichlich wenig miteinander zu tun. Schließlich ist es wissenschaftlich gesehen offensichtlich, dass Gott nicht der Grund für den Regen ist. Die komplexe Interaktion unzähliger Neuronen hingegen scheint eine optimale Erklärung für die genannte Fragestellung zu sein.

Nehmen wir aber einmal die Perspektive des Fragenden ein. Dass Gott es regnen lässt, beantwortet meine eigentliche Frage nicht. Schließlich will ich den ursächlichen Grund des Regens erfahren. Ich muss also weiterfragen: Wieso lässt Gott es regnen?

In konservativen religiösen Kreisen ist das eine Frage, die man nicht stellen sollte. Gott ist Gott – man hinterfragt die Handlungen Gottes nicht.

Doch auch bei der zweiten Frage ist die Antwort nicht hilfreich. Ich müsste abermals weiterfragen: Was bedeutet komplexe Interaktion – wie funktioniert komplexe Interaktion?

Und hier kommen wir zur Verbindung der beiden Aussagen. Denn komplexe Interaktion ist kein Begriff, den man wirklich hinterfragen soll oder kann. Komplexe Interaktion ist komplex und deshalb kann man sie nicht wirklich verstehen. Genau wie man die Handlungen Gottes nicht hinterfragen soll, weil er Gott ist.

Eliezer Yudkowsky bezeichnet derartige Begriffe als semantische Stoppschilder: Diese Begriffe haben keinen inhaltlichen Anspruch. Ihr Anspruch besteht vielmehr darin, die Diskussion zu beenden.

Zum Weiterlesen:

Yudkowsky, Eliezer: Map and Territory. Rationality: From AI to Zombies. Berkeley: 2018.