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Schockrisiken als Signale

Beim Autofahren passieren viel mehr Unfälle als beim Fliegen. Zigaretten bringen weitaus mehr Menschen um als Terroristen.

Diese Aussagen versuchen Wissenschaftler und Statistiker immer wieder in unsere Gedanken einzupflanzen. Schlussendlich versetzt uns ein Anschlag von Terroristen dennoch in einen Angstzustand und das Abheben des Flugzeuges ist von einem nervöseren Gefühl begleitet als das Starten eines Autos.

Der große Unterschied zwischen uns und den Statistikern: Wir nehmen das Risiko auf einer sehr qualitativen Ebene wahr. Experten hingegen orientieren sich bei ihren Risikoeinschätzungen vor allem an der Anzahl der Todesopfer pro Jahr.

Und auf der qualitativen Ebene spielen sogenannte Schockrisiken eine enorm große Rolle. Schockrisiken sind unkontrollierbar, unerwartet, haben fatale Konsequenzen und sorgen oft für den Tod einer großen Menschenmasse.[i]

Und ja, viele dieser Schockrisiken entspringen einer evolutionär geprägten, emotionalen Überreaktion. So ist die qualitative Einschätzung des Risikos von Flugzeugabstürzen tatsächlich nicht sonderlich hilfreich und fällt in die Kategorie der Irrationalität.

Gerade wenn es um Terroranschläge oder die Risiken neuartiger Technologien geht, hat die qualitative Einschätzung aber durchaus ihre Berechtigung.

Dazu muss man Risiken als Signale verstehen – so der US-amerikanische Psychologe Paul Slovic.

Ein Signal ist umso potenter, je mehr Information es enthält. Oder einfacher gesprochen: Je überraschender es ist.

Der unerwartete Terrorismusanschlag ist ein enorm mächtiges Signal, denn mit einem Schlag zeigt er ganz plötzlich auf, was möglich ist.

Wer denkt schon daran, dass zwei Flugzeuge plötzlich ins World Trade Center fliegen könnten?

Mit einem Mal eröffnet dieses Signal also eine ganz neue Bandbreite an Risiken, die der Gesellschaft plötzlich bewusst werden.

Das gleiche Phänomen charakterisiert Unfälle bei Atomkraftwerken oder Medikamenten. Auch solche Unfälle sind sehr starke Signale, die sowohl für die Gesellschaft als auch für das Individuum eine ganz neue Bandbreite an potentiellen Risiken signalisieren.

Sind diese Signale aber rational, oder ist doch die Mortalitätsbetrachtung der Experten besser zur Risikoeinschätzung geeignet?

Die Antwort hängt stark davon ab, mit was man es zu tun hat. Phänomene wie Terrorismus verdienen wohl eher die Expertenbetrachtung. Wenn es aber um komplizierte Technologien geht, die in einer komplexen Art und Weise mit ihrer Umwelt interagieren, ist die Einschätzung des Bauchgefühls in vielen Fällen ein durchaus hilfreicher Indikator.

Zum Weiterlesen:

https://www.researchgate.net/publication/209805350_Perception_of_Risk_Posed_by_Extreme_Events

Gigerenzer, Gerd: Risk savvy. How to make good decisions. New York: 2014. [ii]

[i] Der Begriff stammt ursprünglich vom Psychologen Paul Slovic, der Schockrisiken mit einer breiten Bandbreite an Faktoren definiert. Gerd Gigerenzer hingegen definiert Schockrisiken lediglich als Events, die mit geringer Wahrscheinlichkeit eintreten und bei denen viele Menschen ganz plötzlich sterben. Meine Definition ist eine Kombination der beiden.

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