noah leidinger

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Präventionsparadoxon & Selbstzerstörung

Prävention ist ein zentrales Thema unseres Lebens - ein Thema das Mediziner, Ökonomen und Ökologen gleichsam beschäftigt.

Leider ist Prävention nicht nur eine enorm wichtige, sondern auch eine mitunter recht paradoxe Thematik.

Gerade im Zuge von Covid-19 sprechen Experten immer wieder über das Präventionsparadoxon: Je besser die Prävention funktioniert, desto unnötiger scheint sie.

Der Begriff des Präventionsparadoxons wurde erstmals im Jahre 1981 vom Epidemiologen Geoffrey Rose verwendet. Allerdings hat der Wissenschaftler damit ein ganz anderes Phänomen angesprochen, welches mit der Covid-19-Thematik eher wenig zu tun hat.

Bluthochdruck führt immer wieder zu tödlichen Erkrankungen und erhöht das Risiko von Schlaganafall oder Herzinfarkt. Besonders gefährdet davon sind Menschen mit einem extrem hohen Blutdruck. Doch auch Menschen mit nur moderat erhöhtem Blutdruck haben ein höheres Risiko einer Herzkreislauferkrankung.

Nun gibt es zwei Varianten der Prävention. Die Hochrisiko-Strategie fokussiert sich auf Menschen mit außerordentlich hohem Blutdruck. Doch selbst wenn die Strategie bei diesen Menschen enorm effektiv ist, gibt es ein Problem: Die Prävention mag für diese Hochrisikogruppe sehr gut funktionieren, betrachtet man aber die gesamte Bevölkerung scheint sie ziemlich ineffizient. Da die Hochrisikogruppe nur einen minimalen Anteil der Bevölkerung ausmacht, hilft die Prävention auf einer Mikroebene, versagt aber auf einer Makroebene.

Die Massen-Strategie fokussiert sich darauf, den Blutdruck der gesamten Bevölkerung geringfügig zu reduzieren. Diese Maßnahme ist im Großen und Ganzen sehr effektiv. Doch auch hier ergibt sich ein Paradoxon: Die Maßnahme ist zwar auf einer Makroebene sehr effektiv, für jeden einzelnen Bürger bringt die kleine Absenkung des Blutdruckes aber nur einen minimalen Gesundheitsgewinn.

Genau diese zweite Situation bezeichnet Rose als Präventionsparadoxon: Eine Maßnahme bringt große Vorteile für die Gesamtheit, verbessert die Situation des Einzelnen aber nur minimal.

Die aktuelle Situation rund um Covid-19 lässt sich wohl eher mit dem Problem der selbstzerstörenden Prophezeiung beschreiben.[i] Man prophezeit eine Gefahr und versucht daraufhin alles, die Gefahr abzuwenden. Durch die eigenen Handlungen sorgt man also gerade dafür, dass die Prophezeiung nicht eintritt.

Das Problem: Im Nachhinein sieht man lediglich, dass die Prophezeiung falsch war.

Zum Weiterlesen und Weiterhören:

https://www.jstor.org/stable/29502285?seq=1

https://unintendedconsequenc.es/the-self-defeating-prophecy/

https://www.youtube.com/watch?v=nRjkxfs6gew

[i] Natürlich muss man hier vorsichtig sein. Sprache kann sich entwickeln. Wenn alle Menschen den Begriff anders verwenden, verliert er seine ursprüngliche Bedeutung – das ist vollkommen legitim. Da das Präventionsparadoxon aber selbst ein spannendes Phänomen beschreibt und der Begriff der selbstzerstörenden Prophezeiung für die Covid-19-Situation sehr passend ist, scheint die Trennung durchaus sinnvoll.