Recht und Moral – der Mensch
Recht und Moral sollten im Optimalfall eine starke Korrelation aufweisen. Was moralisch nicht akzeptierbar ist, sollte in der Regel auch vom Gesetz nicht akzeptiert werden.
Natürlich reicht ein Blick in die Zeit des Nationalsozialismus, um zu erkennen, dass Recht und Moral keinesfalls automatisch gleichzusetzen sind.[i]
Doch die Zeit des Nationalsozialismus lehrt uns nicht nur über die potentiellen Unterschiede von Recht und Moral, sondern verdeutlicht auch einen wichtigen Zusammenhang der beiden Thematiken.
Denn gerade nach dem Zweiten Weltkrieg haben moralische Fragestellungen eine ganz neue Präsenz im gesellschaftlichen Bewusstsein bekommen. Diese gesteigerte Präsenz führt die Philosophin Hannah Arendt unter anderem auf die Gerichtsverhandlungen der Kriegsverbrecher zurück.
Was nämlich sowohl das Recht als auch die Moral auszeichnet ist der Fokus auf das Individuum.
Im Gerichtssaal hat sich der Einzelne zu verantworten. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Organisationen, in denen man involviert war, spielen unweigerlich eine Teilrolle. Doch die Frage der Schuld ist davon weitestgehend unabhängig. Die Frage der Schuld fokussiert den einzelnen Menschen.
Im Normalfall bedeutet dieser Fokus auf den Einzelnen nicht automatisch, dass es auch um die Moral geht. Bei einem klassischen Kriminellen braucht man sich nicht lange mit Moral beschäftigen – er bricht das Gesetz und ist schuldig.
Bei den Verbrechern des Nationalsozialismus geht es aber sehr wohl um die Moral. Denn das geltende Gesetz haben sie zum Zeitpunkt des Verbrechens nicht verletzt. Was sie verletzt haben sind moralische Grundsätze.
Doch auch bei diesen moralischen Grundsätzen ist die Sache für die Täter des Nationalsozialismus überaus komplex.
Wie tief in uns verankert sind diese moralischen Grundsätze, wenn eine gesamte Nation sie binnen weniger Jahre vollends ablegen kann? Und wie stark gelten diese moralischen Grundsätze? Ist schon der Schweigende schuldig, der Schreibtischtäter oder nur der direkte Mörder?
Zum Weiterlesen:
Arendt, Hannah: Über das Böse. München: 2017.
[i] Hiermit ist immer das positive Recht gemeint. Das Naturrecht beispielsweise ist ja im Grunde nichts anderes als die moralischen Grundgesetze.