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Juristische Qualität & Wirtschaft

Natürliche Ressourcen, der Kapitalstock und die Bildung der Bürger entscheiden über die wirtschaftliche Stärke eines Staates. Was im gesellschaftlichen Diskurs aber gerne übersehen wird ist ein weiterer essentieller Faktor: Die Qualität der staatlichen Institutionen.

Dabei spielen nicht nur Korruption oder politische Instabilität eine Rolle – auch die Sicherheit von Verträgen beeinflusst das wirtschaftliche Treiben. Wenn das Durchsetzen von Verträgen teuer und umständlich ist, entwickelt sich ein Mangel an beziehungsspezifischen Investitionen.

Beziehungsspezifisch bedeutet, dass der Wert der Investitionen auf dem Bestehen der Beziehung basiert. Wenn also ein Zulieferer eine neue Maschine kauft, um ein spezifisches Bauteil für einen spezifischen Kunden herzustellen, ist das eine beziehungsspezifische Investition. Die Maschine ist nur in Bezug auf den einen Kunden rentabel, sobald der Kunde weg ist, löst sich der Wert der Maschine in Luft auf.[i]

Wenn Unternehmen in einem Land keine Verträge durchsetzen können, stehen sie immer vor der Gefahr, dass der Partner den Vertrag plötzlich bricht und die beziehungsspezifische Investition ihren Wert verliert.

Soweit die Theorie.

Und die Theorie deckt sich mit der Praxis, wie der Ökonom Nathan Nunn in seinem Paper „Relationship-specificity, incomplete contracts, and the pattern of trade.“ belegt.

Anhand von Daten aus den 1990er Jahren analysierte Nunn, wie die Fähigkeit, Verträge durchzusetzen, mit dem Exportverhalten von Staaten korreliert.[ii]

Im ersten Schritt identifiziert Nunn Industrien, die von beziehungsspezifischen Investments mehr oder weniger abhängig sind. Fleischverarbeitung oder Mehlproduktion benötigt beispielsweise nur sehr geringe beziehungsspezifische Investments, da keine komplexen Bauteile sondern nur generische Rohstoffe involviert sind. Die Produktion von elektronischen Geräten oder Automobilen erfordert hingegen ein hohes Maß an beziehungsspezifischen Investments.[iii]

Industrien mit einem hohen Bedarf an beziehungsspezifischen Investments bezeichnet Nunn als vertragsintensive Industrien.

Im zweiten Schritt teilt Nunn verschiedene Staaten nach der juristischen Qualität ein, woraus sich eine Gruppe mit schlechter Qualität und eine Gruppe mit guter Qualität ergeben.[iv]

Die Ergebnisse der Studie sind eindeutig: Bei Staaten mit guter juristischer Qualität gehören im Schnitt 63% der Exporte vertragsintensiven Industrien an. Bei Staaten mit schlechter juristischer Qualität sind nur 40% der Exporte aus vertragsintensiven Industrien.[v]

Zum Weiterlesen:

https://scholar.harvard.edu/files/nunn/files/contracts_trade_qje.pdf

[i] Zugegebenermaßen habe ich das etwas überspitzt formuliert. Die Maschine hat natürlich immer noch einen gewissen Wert, für das Unternehmen sinkt der Wert aber bedeutend ab.

[ii] Er analysiert dazu mehr als 100 Staaten und 182 verschiedene Industrien.

[iii] Um diese Industrien zu unterscheiden geht Nunn wie folgt vor: Er identifiziert die wichtigsten Rohstoffe in den Produktionsprozessen der jeweiligen Industrien. Falls diese Rohstoffe an Börsen handelbar sind, oder es in Handelspublikationen Referenzpreise gibt, handelt es sich um keine Rohstoffe, die beziehungsspezifische Investments benötigen.

[iv] Er greift als Maßstab für die juristische Qualität auf Studien aus den 1990er Jahren zurück. Eingeteilt werden die Staaten ganz einfach nach dem Median der juristischen Qualität. Staaten unter dem Median haben eine schlechte Qualität, Staaten über dem Median eine gute.

[v] Dieser Zusammenhang ist das grundlegende Ergebnis der Studie. Natürlich ist Korrelation aber nicht gleich Kausalität. Im weiteren Verlauf des Papers geht Nunn daher auf verschiedene externe Faktoren ein, die die Korrelation erklären können. Beispielsweise tendieren reiche Länder dazu, bessere juristische Systeme und eine ökonomisch komplexere Wirtschaft zu haben. Doch selbst nach Berücksichtigung all dieser Faktoren bleibt eine Korrelation zwischen juristischer Qualität und dem Maß an vertragsintensiven Industrien bestehen.