Zukunftsrassismus
Existenzielle Risiken sind eine faszinierende Thematik. Nicht zuletzt deshalb, weil sie unsere Intuition immer wieder auf die Probe der Rationalität stellen. Denn sobald das Leben der gesamten Menschheit auf dem Spiel steht, sollten wir uns selbst bei einer minimalen Eintrittswahrscheinlichkeit sehr stark auf existenzielle Gefahren fokussieren.
In der Praxis spielen existenzielle Risiken aber so gut wie keine Rolle in unserem Leben, werden weder von Politikern noch den Medien häufig thematisiert.
Einer der Gründe dafür: Zukunftsrassismus.
Betrachten wir dazu folgendes Gedankenexperiment:[i]
Im ersten Szenario leben wir in einer friedlichen Welt. Im zweiten Szenario sorgt ein Atomkrieg für den Tod von 98% der menschlichen Bevölkerung. Im dritten Szenario sorgt ein Atomkrieg für den Tod der gesamten Menschheit.
Natürlich ist das erste Szenario besser als das zweite und das zweite besser als das dritte. Die Frage ist nur: Wie groß ist die Differenz?[ii]
Intuitiv würde man wahrscheinlich schlussfolgern, dass der Sprung von einer friedlichen Welt zu einer Welt, in der 98% der Menschen sterben, am größten ist. Ob nun die letzten 2% leben oder nicht, macht nun wirklich keinen gravierenden Unterschied.
Doch genau diese Intuition spiegelt das Phänomen des Zukunftsrassismus wieder.
Denn 2% der Bevölkerung können wieder von vorne beginnen und eine neue Episode in der Menschheitsgeschichte einleiten. Wir Menschen sind noch nicht sonderlich lange auf dieser Erde. Es ist also durchaus realistisch, dass aus den 2% der Restbevölkerung eine neue Bevölkerung entstehen würde, die uns zahlenmäßig weit überlegen ist.
Die Differenz zwischen Szenario 1 und Szenario 2 beträgt also circa 8 Milliarden Menschenleben. Die Differenz zwischen Szenario 2 und Szenario 3 beträgt eventuell sogar hunderte Milliarden Menschenleben, denn so viele Menschen können sich als Nachfahren der restlichen 2% durchaus noch entwickeln.
Zum Weiterlesen:
Singer, Peter: The most good you can do. How effective altruism is changing ideas about living ethically. New Haven: 2015.
[i] Die Idee des Beispiels stammt von Peter Singer und seinem Buch „The most good you can do“. Er selbst hat es wiederum vom britischen Philosophen Derek Parfit übernommen.
[ii] Insofern man annimmt, dass wir Menschen eine wünschenswerte Existenz führen – eine Annahme bei der man sicherlich Speziesismus unterstellen kann.