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Paradox: Freie Diskussion & Verhöre

Bei jedem halbwegs seriösen Verhör greift das Prinzip der unabhängigen Einschätzungen. Wenn es also mehrere Zeugen von derselben Tat gibt, werden diese Zeugen getrennt befragt. Im besten Fall, sollen sie sich vor dem Verhör auch nicht untereinander absprechen können.

Das ist aus zwei Gründen vollkommen logisch:

Wenn Zeugen und Aufklärende unterschiedliche Interessen haben, kann durch die Trennung verhindert werden, dass sich die Zeugen gemeinsame Lügen ausmachen.

Fast noch wichtiger: Kaum ein Zeuge wird sich zu 100% sicher sein, was er gesehen hat. Wenn die Zeugen ausführlich miteinander diskutieren, werden sich ihre Aussagen automatisch ein wenig aufeinander abstimmen.[i]

Komisch nur, dass man genau diesem Prinzip weder in Diskussionen noch in Meetings irgendeine Aufmerksamkeit schenkt.

“This procedure makes good use of the value of the diversity of knowledge and opinion in the group. The standard practice of open discussion gives too much weight to the opinions of those who speak early and assertively, causing others to line up behind them.” – Daniel Kahneman in seinem Buch “Thinking Fast and Slow”.

Dabei spielt das Problem der angepassten Äußerungen bei Diskussionen und Besprechungen eine enorm wichtige Rolle. Wer zuerst seine Meinung kundtut, hat in der Regel einen viel größeren Einfluss auf die Diskussion als jene, die erst gegen Ende sprechen.

Alle Äußerungen der anderen, verändern die eigene Aussage – je nach Persönlichkeitstyp ist dieser Effekt mehr oder weniger stark ausgeprägt.

Eine einfache Lösung: Vor der Debatte schreibt jeder seine aktuellen Standpunkte zu jedem jeweiligen Thema auf. So äußert jeder seine Argumente unabhängig vom sozialen Rahmen, was in der Regel zu mehr Offenheit und besseren Ideen führt.

Man kann das auch als Paradox der freien Diskussion bezeichnen. Je freier die Diskussion, desto unfreier sind die Gedanken. In gewisser Hinsicht ist das abgeschlossene Verhör also freier als die ungeregelte Debatte.

Zum Weiterlesen:

Kahneman, Daniel: Thinking Fast and Slow. New York: 2011.

[i] E.g.: Der erste Zeuge glaubt, dass es sich um ein rotes Auto handelte. Der zweite Zeuge ist aber sehr selbstsicher und behauptet mit absoluter Überzeugung, dass das Auto blau war. In vielen Fällen wird Zeuge eins, nun auch angeben, ein blaues Auto gesehen zu haben.