Precautionary Principle - Klimawandel
Die 2020er Jahre gleich mit einem Artikel zum Klimawandel zu beginnen ist nicht gerade sehr originell, dennoch passend, wie ich finde – mit einer Perspektive die so im deutschsprachigen Raum noch nicht sehr weit verbreitet ist.
Nassim Taleb ist bekannt für Werke wie den Schwarzen Schwan, beschäftigt sich in seinen Büchern vor allem mit Wahrscheinlichkeit, Risiko und Wissenschaftstheorie. Die meisten würden ihn wohl eher konservativ einschätzen, umso erstaunlicher seine Haltung zum Klimawandel.
Nassim Taleb ist ein Skeptiker, vor allem wenn es um Modelle und irgendwelche Vorhersagen geht. Die meisten Skeptiker von Klimamodellen kommen zu der Schlussfolgerung, dass man nicht vorhersagen kann, welche Konsequenzen der Klimawandel bringen wird – der starke Fokus auf dieses Thema ist laut ihnen also völlig übertrieben.
Nassim Taleb kommt zu einer ganz anderen Schlussfolgerung – die Unsicherheit in Modellen erhöht das Risiko eine Schwarzen Klimaschwans, also einer Umweltkatastrophe mit irreversiblen Konsequenzen, die die Natur, so wie wir sie heute kennen, enorm verändert – zur Extinktion von Flora und Fauna führt. Deshalb müssen wir in Sachen Klima mit dem sogenannten Precautionary Principle arbeiten – einem absoluten Vorsichtsprinzip.
Das Precautionary Principle
Das Precautionary Principle ist kein Konzept des Risikomanagements und für die meisten Entscheidungen auch nicht geeignet. Es geht nicht um ein Abwägen von Pro und Contra, Kosten und Benefits, Risiken und Möglichkeiten. Beim Precautionary Principle geht es um Thematiken, wie den Klimawandel, die das Potential haben zum Ruin zu führen.
Ruin ist eine globale Katastrophe mit nicht irreversiblen Folgen.
Mathematisch gesehen kann man eine Katstrophe an ihrem Ausmaß messen und an der Dauer. Ruin zeichnet sich dadurch aus, dass die Dauer der Schäden unendlich ist, was in der Irreversibilität steckt.
Egal wie klein nun aber die Wahrscheinlichkeit für potentiellen Ruin ist, durch die Multiplikation mit einer unendlichen Dauer ergeben sich unendliche Kosten.[i] Wenn etwas unendlich ist kann man es nicht abwägen. Daher, so die Schlussfolgerung Talebs, geht es im Fall des Ruins nicht um das Abwägen von Kosten und Benefits, sondern um das bestmögliche Bemühen, die Katastrophe zu vermeiden.
Man kann das - auch wenn der Vergleich an zwei Beinen hinkt - mit Mutagenen und der Toxikologie vergleichen. Für Mutagene kann man keinen NOEL Werte festlegen, da es keine Menge eines Mutagens gibt, die nicht potentiell schädliche Effekte hat. Schon eine einzige Mutation führt potentiell zu Krebs. Also gilt das ALARA Prinzip - as low as reasonably achievable (so gering wie realistischerweise möglich) - genau dieses Prinzip fordert Nassim Taleb auch in Sachen Klimapolitik.
Aus Sicht der Maßnahmen die ergriffen werden sollen, fordert Nassim Taleb vor allem dazu auf den Wirtschaftsstil zu überdenken – also an der Bedarfsseite anzusetzen. Eingreifend agieren hat bei komplexen Systemen in denen globaler Ruin möglich ist nämlich potentiell wieder ruinöse Folgen.
Gleichzeitig fordert er auf unser Verständnis von dem was reasonably achievable - also realistischerweise erreichbar ist - anzupassen. Es geht keineswegs darum, was uns angenehm ist, es geht darum, was wir schaffen, wenn wir einen substantiellen Teil unserer Ressourcen auf diese Thematik verwenden.
Paralyse aus Vorsicht
Klima ist hier nicht eines von vielen Beispielen für welche das Precautionary Principle sinnvoll ist, es ist eines von sehr wenigen Beispielen. Es gibt wenige Thematiken, die einen globalen Ruin bewirken können. Die meisten Probleme sind lokal beschränkt, lassen sich irgendwie eingrenzen. Der Klimawandel nicht - es handelt sich um ein absolut globales Phänomen. Damit kann vielleicht noch die Atombombe mithalten, vielmehr aber auch nicht.
Dieses Prinzip soll also keineswegs als Argument dafür verwendet werden, Forschung und Innovation zu bremsen oder uns zu paralysieren. So gut wie alle Phänomene sind lokal begrenzbar. Einige mögen das Prinzip beispielsweise mit Atomkraftwerken in Verbindung bringen, das ist aber keinesfalls korrekt. Die Effekte von Atomkraftwerken insbesondere in Bezug auf Katstrophen wie Tschernobyl oder Fukushima, haben lokale Konsequenzen. Es ging bei beiden nach seriösen Zahlen um den Tod von einigen tausenden Menschen sowie einen minimalen Bruchteil des Landes dieser Erde, der für eine gewisse Zeit zerstört wurde. Das ist schlimm, ein globaler Ruin aber keinesfalls.
Klimamodelle sind also auf jeden Fall skeptisch zu betrachten. Leute die dennoch zur Vorsicht mahnen und von einer Krise sprechen oder den Klimanotstand ausrufen, sind deshalb aber nicht als paranoide Angstmacher darzustellen - sie haben gute Gründe bei dieser Thematik absolute Vorsicht zu fordern - ein solcher Grund ist das Precautionary Principle.
Zum Weiterlesen:
https://www.fooledbyrandomness.com/pp2.pdf
https://www.econtalk.org/nassim-nicholas-taleb-on-the-precautionary-principle-and-genetically-modified-organisms/
Taleb, Nassim Nicholas: The Black Swan. The Impact of the Highly Improbable. London: 2008. [ii]
[i] Taleb spricht in einem seiner Paper davon, dass es schon ausreicht, wenn die Wahrscheinlichkeit von einem derartig katastrophalen Event nicht null ist. Gibt es solide wissenschaftliche Daten und Beobachtungen die darauf schließen lassen, dass die Wahrscheinlichkeit enorm gering ist, würde Taleb aber wohl selbst nicht mehr auf das Precautionary Principle zurückgreifen. Aber die Situationen bei denen dieses Prinzip verwendet werden sollte zeichnen sich ohnehin meist auch dadurch aus, dass keine Datenlage besteht, die Schwarze Schwäne praktisch ausschließen kann.
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