Soziales im MINT-Studium
Das Akquirieren von MINT-Studenten ist eine der größten Herausforderungen, mit denen universitäre Systeme in Europa und Amerika konfrontiert sind. Doch nicht nur die Anzahl neuer Schüler spielt eine Rolle, eine weitere Challenge besteht im Erhalt des bestehenden Aufgebots an MINT-Studenten.
Die beste Metrik zur Vorhersage von Studienabbrechern sind – wer hätte es geahnt – die Noten. Studenten mit überdurchschnittlich guten Noten brechen nur sehr selten ab, Studenten mit schlechten Noten brechen häufig ab. Doch Noten verlieren ihren Informationswert abseits dieser Extreme.
Im Zuge ihres Papers „Educational commitment and social networking: The power of informal networks” haben Justyna P. Zwolak et al. eine Studie mit 273 Studenten der Florida International University durchgeführt. Diese Studenten haben alle einen Einstiegskurs zum Thema Elektrizität und Magnetismus absolviert. Für den darauffolgenden Kurs haben sich nur mehr 212 Studenten angemeldet, der Rest hat abgebrochen.
Statistisch gesehen ergab sich insgesamt ein starker Zusammenhang zwischen Noten und Abbruchsraten. Doch bei den Schülern mit mittelmäßigen Noten, konnte ein derartiger Zusammenhang nicht festgestellt werden. Für diese Studenten spielte ein andere Größe die entscheidende Rolle: die sozialen Kontakte außerhalb des Klassenraumes.
Dabei unterscheiden Zwolak und Kollegen zwei Arten von sozialen Netzwerken. Zum einen gibt es „Netzwerke der Einfachheit“. Das beste Beispiel dafür ist die soziale Interaktion innerhalb des Klassenraumes. Die Studenten sind bereits im gleichen Kurs angemeldet, sind zur gleichen Zeit am gleichen Ort und bekommen eventuell auch noch gemeinsame Gruppenarbeiten. Daraus entstehen soziale Kontakte, die sich durch Zufall und Einfachheit ergeben, aber von niemandem aktiv kreiert werden.
Zum anderen gibt es „Netzwerke der Wahl“. Das beste Beispiel hierfür sind die sozialen Kontakte außerhalb des jeweiligen Kurses. Für solche Kontakte ist eine proaktive Verhaltensweise nötig – sie ergeben sich nur durch aktives Aufeinanderzugehen.
Genau diese sozialen Kontakte unterstützen den durchschnittlichen Schüler nicht nur auf einer fachlichen Ebene, sondern helfen auch, andere Schwierigkeiten im neuen Umfeld zu überbrücken, um das Studium durchzuziehen.
Die Erkenntnisse dieser Studie sind aus zwei Gründen enorm relevant:
1. Die Effekte sind ziemlich massiv. In der Studie wurden die Beziehungen der Studenten mittels der Graphentheorie analysiert. Dabei gibt es einen Wert, der das Maß an sozialer Integration beschreibt. Wenn dieser Wert unter 0.14 liegt, ziehen die Betroffenen das Studium mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 63% durch. Wenn der Wert darüber liegt, beträgt die Wahrscheinlichkeit 92%.
2. Man kann die Erkenntnisse sehr gut in der Praxis anwenden. Schon zur Mitte des ersten Semesters war die große Mehrheit der sozialen Netzwerke fest etabliert und hat sich bis zum Ende des Semesters nicht mehr wirklich geändert. Man kann diesen sozialen Faktor also schon nach wenigen Wochen analysieren und dann unterstützend eingreifen.
Neben guten Professoren, einem passenden Lernumfeld und spannenden Inhalten sind also informelle soziale Netzwerke außerhalb des konkreten Studiums ein entscheidender Faktor zum Ausbau unseres Humankapitals in den MINT-Fächern.
Zum Weiterlesen:
https://journals.aps.org/prper/pdf/10.1103/PhysRevPhysEducRes.14.010131