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Das uninteressanteste Interessante

Diesen Donnerstag hat die US-amerikanische Astronautin Christina Koch erstmals nach 328 Tagen im Weltraum die Erdoberfläche betreten. Für was sie bekannt werden wird? Mit Sicherheit für den ersten rein weiblichen Raumspaziergang, den sie und Jessica Mair im Oktober letzten Jahres absolvierten. Für einige Zeit wird sie auch aufgrund ihres Weltraumaufenthaltes von 328 Tagen in Erinnerung bleiben – dem längsten, den eine Frau bisher absolviert hat.

Für ihre Forschungen an Pflanzenwachstum und Pflanzengesundheit in Zusammenhang mit Gravitation, am Verhalten von Feuer im Weltraum oder auch am Verhalten von enorm stark gekühlten und damit fast bewegungslosen Atomen, wird fast niemand Christina Koch in Erinnerung behalten. Das obwohl ihre Forschungsarbeit viel interessanter ist, als die beiden glücklichen Zufälle, den ersten rein weiblichen Raumspaziergang zu machen und einen recht langen Aufenthalt im Weltraum zu haben.

Vor allem, wenn es um Personen geht, ist es ein weit verbreitetes Phänomen, dass sich im Gedächtnis der Menschen das uninteressanteste Interessante einprägt.

Ein weiteres Beispiel dafür ist der Mathematiker John Forbes Nash Jr., dem der Film „A Beautiful Mind“ zwar weltweite Bekanntheit verschaffte, ihn in der Erinnerung vieler Zuschauer aber auf den „schizophrenen Mathematiker“ reduzierte. Vielleicht hätte man das verhindern können, wenn man das Nash-Gleichgewicht im Film richtig erklärt hätte, das einzige Beispiel, im Zuge dessen es erwähnt wird, ist nämlich falsch, wahrscheinlich hätte das aber auch nichts geholfen.

Dabei steckt hinter John Nash natürlich viel mehr als seine geistige Erkrankung und das Nash-Gleichgewicht ist nicht einmal ein Konzept, das nur Mathematiker verstehen können, sondern eigentlich ein praktisches Werkzeug für alltägliche Entscheidungen, doch diesen Bildungsauftrag wollte man im Film wahrscheinlich nicht auch noch integrieren. So bleibt auch John Nash für das uninteressanteste Interessante an seiner Geschichte in Erinnerung.

Doch diese Beispiele sind harmlos. Schade für die Person, die betroffen ist, und schade, für die Menschen, welche die wirklich interessanten Aspekte niemals erfahren. Brisanter wird es, wenn dieser Fokus auf das uninteressanteste Interessante zur Ablenkung genutzt wird.

Ein Beispiel bietet der österreichische Ex-Ex-Politiker Heinz-Christian Strache und sein Ibiza Video. Worauf hat sich die FPÖ und auch Strache nach der Veröffentlichung gleich gestürzt? Die linken Netzwerke, die hinter der Produktion stecken. Die korrupten Journalisten, welche die ganze Sache inszeniert haben.

Während diese Strategie zum Glück in der breiten Wählerschaft nicht gegriffen hat, bot sie vielen FPÖ-Wählern doch eine passende Ablenkung. Man konnte die Situation wieder auf einen alt-bekannten Sündenbock reduzieren. Das es sich dabei um das uninteressanteste Interessante an der Geschichte handelte, war nicht wichtig – man hatte etwas Interessantes gefunden, was die eigene Schuld nicht beinhaltete.

Um dieser Vereinfachung zu entkommen hilft es im Grunde schon, eine gesunde Neugier an den Tag zu legen, und hinter die erste Fläche des Interessanten zu blicken, denn oft gibt es noch einige weitere interessante Ebenen.

Zum Weiterlesen:

https://www.nytimes.com/2020/02/06/science/christina-koch-nasa-astronaut.html

http://www.spieltheorie.de/john-nash-bar-szene/