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Hypothesen & Passwörter

«Lehrer: Was ist Licht?

Schüler: Licht hat sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften. Man spricht vom Welle-Teilchen-Dualismus.»

In unserem Bildungssystem bekommt der Schüler mit dieser Antwort alle Punkte. In der Realität ist seine Antwort meist wertlos – so die These von Eliezer Yudkowsky.

Denn weder der Begriff „Welle“ noch das Wort „Teilchen“ haben eine exklusive intrinsische Bedeutung.

Ein Physiker und ein Schüler können also die gleichen Wörter äußern, ohne damit dasselbe zu meinen. Nur weil ein Schüler die Antwort eines Physikers wiederholt, ist seine Antwort nicht gleich richtig.

Sie wird erst richtig, wenn die Worte des Schülers in seinem Kopf mit der korrekten Bedeutung verknüpft sind. Die Antwort des Schülers wird erst dann zu einer wahren Aussage, wenn er auch versteht, was damit gemeint ist.

Für Yudkowsky ist eine verbale Äußerung erst dann relevant, wenn sie mit einer gewissen Erwartung gegenüber der Realität verbunden ist. Erst wenn der Schüler eine Erwartungshaltung darüber hat, was Licht machen und nicht machen kann, wird seiner Antwort zu einer validen Hypothese.

Oft fehlt aber genau diese Erwartungshaltung. Denn sie ist im aktuellen Bildungssystem nicht nötig. Vielmehr geht es darum, das Passwort des Lehrers zu knacken.

Man muss die Fragen des Lehrers nicht wahrheitsgemäß beantworten. Die Antwort muss nur vom Lehrer als richtig wahrgenommen werden und dafür reicht es vollkommen aus, die Äußerungen eines Physikers zu wiederholen – selbst wenn man keine Ahnung hat, was damit eigentlich gemeint ist.

Zum Weiterlesen:

Yudkowsky, Eliezer: Map and Territory. Rationality: From AI to Zombies. Berkeley: 2018.