noah leidinger

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Gespräche & das Risiko der Neuigkeit

“I would suggest to you that that is the rare exception in human conversation. Most of the time people are not trying to exchange information, they are trying to engage each other and invest in a relationship.” – Daniel Gilbert im Podcast “The TED Interview”.

Sprache und die Fähigkeit, über Dinge zu lernen, die wir selbst noch nie erlebt haben, sind zwei große evolutionäre Stärken von uns Menschen. Doch wir nutzen unsere Sprache nicht nur, um über neue Dinge zu lernen. In vielen Fällen ist die Konversation mit anderen Menschen ein rein sozialer Akt, der nicht auf Informationsaustausch abzielt, sondern vielmehr auf eine Stärkung der zwischenmenschlichen Beziehung. Die vom US-amerikanischen Psychologen Daniel Gilbert geprägte Metapher des Gespräches als Tanz beschreibt den wahren Hintergrund unserer Interaktionen wohl am besten.

Aber natürlich ist es vorteilhaft, wenn im Zuge dieses Tanzes auch ein gewisser Informationsaustausch stattfindet. Es ist doch viel spannender und angenehmer, eine neue Geschichte zu hören und über etwas Fremdes zu erfahren, anstatt immer wieder über gleiche Erfahrungen und viel zu oft erzählte Erlebnisse zu sprechen.

Das möchte man vermuten. Wie Daniel Gilbert und Kollegen in ihrem Paper „The novelty penalty: why do people like talking about new experiences but hearing about old ones?” anhand von 4 Studien beweisen ist dem aber nicht so. Die meisten Erzähler gehen davon aus, dass Geschichten, die den Zuhörern noch nicht bekannt sind, für letztere interessanter sind. Auch die Zuhörer nehmen in der Regel an, dass sie Erzählungen über etwas Neues spannender finden als Erzählungen über etwas bereits Bekanntes. Wir tragen also alle die Annahme mit uns herum, dass in Gesprächen eine Art Neuartigkeitsbonus von den Zuhörern vergeben wird.

Wie die Studien der Wissenschaftler aber zeigen, ist genau das Gegenteil der Fall. Man kann eine eindeutige Tendenz zu einer Abstrafung von Neuartigkeit vonseiten der Zuhörer erkennen.

Der Grund: Klarheit und Informationslücken. Jede Erzählung ist voll von irgendwelchen Lücken, die der Erzähler gar nicht wahrnimmt, weil sein eigenes Wissen diese Lücken problemlos ausfüllt. Wenn man aber eine neue Geschichte hört, kann man diese Lücken in vielen Fällen nicht füllen und die Erzählung wird unverständlich.

Erzähler unterschätzen also zum einen ihre eigene Fähigkeit, die Dinge verständlich zu vermitteln, und zum anderen die Informationslücken in ihren Erzählungen. Im Alltag fällt uns das so gut wie nie auf, weil es nicht gerade höflich ist, jemanden darauf hinzuweisen, dass seine Erzählung unverständlich ist. In der Regel nehmen wir das Gesagte hin, ohne mit irgendwelchen Wahrheitsambitionen nachzufragen.

Als Zuhörer hingegen unterschätzen wir den Wert alter Geschichten. In der Regel enthalten auch alte Geschichten immer einen gewissen Neuheitsaspekt und sei es, weil das Gegenüber die Situation ganz anders schildert als man selbst. Darüber hinaus helfen bekannte Geschichten, sich an vergangene Erlebnisse zu erinnern und das bewirkt eine starke emotionale Involviertheit vonseiten des Publikums. Zu guter Letzt stärken Geschichten über gemeinsame Erfahrungen die emotionale Bindung zwischen den Gesprächspartnern und in vielen Fällen ist das viel entscheidender als der Informationsaustausch.

Zum Weiterlesen und Weiterhören:

https://www.ted.com/talks/the_ted_interview_dan_gilbert_on_the_surprising_science_of_happiness/up-next?language=en&referrer=playlist-the_ted_interview_season_3

http://www.danielgilbert.com/COONEY%20GILBERT%20WILSON%202017%20%28THE%20NOVELTY%20PENALTY%29.pdf