Das Schulterschlussrisiko der Wirtschaft
In breiten Teilen der Gesellschaft erleben wir aktuell einen beeindruckenden Zusammenhalt. Selbst in Medien und Politik hat Covid-19 zu einem verstärkten Schulterschluss geführt.
Dieser Schulterschluss ist in der aktuellen Lage auch notwendig. Das rein Individualistische Narrativ der letzten Jahrzehnte beginnt in den Köpfen vieler zu bröckeln. Doch ein zu starker Schulterschluss stellt auch eine Gefahr dar. Eine Gefahr für die Demokratie, wie Florian Klenk in seinem Artikel „Schluss mit dem Schulterschluss!“ darlegt. Eine Gefahr aber vor allem auch für die Wirtschaft.
Die Wirtschaft ist nämlich jener Bereich des gesellschaftlichen Zusammenlebens, in welchem Schulterschluss und intensives Mitleid zu einem massiven Schaden führen können.
Dazu braucht man nur einen Blick auf die Great Depression der 1930er Jahre zu werfen.
„The new modesty that coincided with the Great Depression and World War II evolved out of the strong narrative that people were suffering through no fault of their own.” – der Nobelpreisträger Robert Shiller in seinem Buch “Narrative economics.”
Die Great Depression betraf so ziemlich jeden. Den einen ganz direkt, weil er seinen Job verloren hat, den anderen etwas indirekter, weil ein Nachbar oder Familienmitglied die Miete nicht mehr zahlen konnte. Entscheidend dabei war, dass die Great Depression zum einen sehr hart und zum anderen unerwartet zuschlug. Dazu kam eine große Unsicherheit über die eigene berufliche und wirtschaftliche Zukunft.
Für die meisten war diese Krise ein tragischer Schicksalsschlag und damit waren jene Menschen, die ihren Job verloren hatten und nun in Armut leben mussten, keine faulen oder unfähigen Menschen, sondern fleißige Mitbürger, die das Schicksal noch härter getroffen hat als einen selbst.
So entwickelte sich ein starker Zusammenhalt in der Gesellschaft und durch die direkte Betroffenheit der meisten Menschen spielte auch Mitleid eine entscheidende Rolle. Dabei ist Mitleid wortwörtlich zu verstehen. Man litt also tatsächlich wirtschaftlich mit, weil man weder große Investitionen noch Konsumgüterkäufe tätigen wollte. Sich in dieser Phase ein neues Auto zu kaufen, in Urlaub zu fahren oder das Haus renovieren zu lassen, wurde als vollkommen unmoralisch erachtet.
Auch die Medien förderten dieses Narrativ. Sie forderten die Leute zum Mitleid auf und schrieben ausführlich über die positiven Effekte der Sparsamkeit, des Verzichtes und des stärkeren Zusammenhalts.
Mit diesem Narrativ der mitleidsgetriebenen Austerität und Sparsamkeit war aber natürlich niemandem geholfen. Anstatt die Armen und Geschädigten zu unterstützen, hat dieses wirtschaftliche Mitleiden die Wirtschaftskrise nur verschlimmert.
Auch in der aktuellen Krise erachten wir jene, die ihren Job verlieren, als arme Mitbürger, die von der Krise besonders hart getroffen wurden. Auch in der aktuellen Krise erreichen Mitleid und Schulterschluss einen Höhepunkt. Auch in der aktuellen Krise springen die Medien positiv auf diese Tendenzen an.
Die Gefahr, dass diese Krise durch ähnliche Schulterschlussdynamiken wirtschaftlich noch schlimmer wird, als sie ohnehin schon ist, dürfen wir also nicht unterschätzen.
Wir müssen vorsichtig sein, dass sich kein ähnliches Mitleidsnarrativ wie in den 1930er Jahren entwickelt. Wir müssen klar machen, dass der intensive Konsum - so eigennützig er scheinen mag - schlussendlich mehr hilft, als ein durch Sparen vermitteltes Mitgefühl. Denn von diesem Mitgefühl kann man sich nichts kaufen - so generisch und unmoralisch das auch klingt.
Zum Weiterlesen:
https://www.falter.at/zeitung/20200401/schluss-mit-dem-schulterschluss/_5c48eabc8a
Shiller, Robert: Narrative economics. How stories go viral & drive major economic events. Princeton: 2019.