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Gott würfelt und wir sollten auch

Wir Menschen tun uns schwer mit dem Zufall. Dass Gott nicht würfelt, davon war schon Einstein überzeugt. Doch laut Quantenphysik wird in der Realität mehr gewürfelt, als uns lieb ist und der schweizer Professor Bruno S. Frey geht noch einen Schritt weiter. „God does not play dice, but people should: random selection in politics, science and society”, lautet der Titel seines 2014 erschienenen Working Papers zu diesem Thema.

Die gängigen Methoden der Entscheidungsfindung sind beschränkt. Entweder es gibt einen klaren Chef, der die Entscheidung trifft, es gibt einen demokratischen Entscheidungsprozess oder man überlässt die Wahl den Kräften des Marktes.

Eine Wahl per Zufall zu treffen scheint nicht gerade sehr rational. In Wirklichkeit ist der Mechanismus Zufall oft rationaler, repräsentativer und offener, als traditionelle Wege der Entscheidungsfindung.

Zufällige Entscheidungen diskriminieren nicht und sind repräsentativ. Minderheiten sind bei zufälligen Wahlen auf lange Sicht mit dem Anteil vertreten, den sie auch in der Gesellschaft aufweisen. Damit kann keine Gruppe systematisch unterdrückt oder ignoriert werden.

Dafür kann man aber auch Quoten einführen, oder?

Nein, Quoten werden nur für jene Minderheiten, Perspektiven oder Ideen eingeführt, die von den Machthabern als relevant angesehen werden. So hat sich unsere Gesellschaft darauf geeinigt, dass das Vorhandensein von Frauen in politischen Machtpositionen wünschenswert ist oder dass Minderheiten ein Recht auf Mitsprache haben. Für Quoten muss es aber erst zu dieser Einigung kommen und dafür müssen Minderheiten oft jahrzehntelang kämpfen.

In der Wissenschaft beispielsweise gibt es gewisse Ideen, die nicht populär sind und die ein prestigeträchtiges Journal niemals publizieren würde. Auch besteht laut aktuellem Konsens kein Bedarf, Menschen, die keine akademische Karriere gemacht haben, in Journals publizieren zu lassen.

Zufällige Auswahlverfahren geben Randmeinungen und disruptiven Ideen einen Raum, auch wenn dieser nur klein ist.[i]

Vor allem als Ersatz für demokratische Prozesse kann ein Zufallsmechanismus darüber hinaus direkte und indirekte Kosten sparen. Man denke nur an die Milliarden, die Jahr für Jahr in Wahlwerbung fließen, oder Themen wie Korruption und Lobbying. So werden sich Firmen zweimal überlegen, ob sie einen Kandidaten mit massiven Finanzmitteln unterstützen, wenn am Schluss der Zufall entscheidet.

Trotz all dieser positiven Faktoren ist die weitläufige Meinung zu Zufallsmechanismen sehr negativ. Ein sinnvoller Schritt ist deshalb die teilweise Einführung von Zufallsmechanismen.

Im Parlament wäre eine zweite Kammer aus zufällig gewählten Abgeordneten denkbar. Ein wissenschaftliches Journal kann drei Viertel der Einreichungen wie gewohnt und ein Viertel per Zufall abarbeiten. Ein Verlag oder eine Plattenfirma könnte ebenso versuchen in 10 oder 20% der Fälle den Zufall entscheiden zu lassen.

Wenn es um die Förderung von Innovationen, kritischen Gedanken sowie unpopulären Meinungen geht, sind die geschlossenen Institutionen, von denen die meisten wichtigen Bereiche der Gesellschaft dominiert sind, ein gefährlicher Bremsklotz.

In der Politik sind es Parteien, bei denen man mit konträren Ideen keine Chance hat. In den Medien sollte man sich bei manchen Publikationen nicht positiv über den Kapitalismus und bei anderen nicht negativ über den Nationalismus äußern. In der Wissenschaft braucht niemand mitzureden, der keine akademische Laufbahn durchgemacht hat.

Wenn wir es ernst meinen mit unserer Toleranz und Offenheit, dann sollten wir dem Zufall viel öfter die Chance geben, für tolerante und vollkommen unbefangene Entscheidungen zu sorgen.

Zum Weiterlesen und Weiterhören:

http://www.econ.uzh.ch/static/wp/econwp144.pdf

https://lt.org/publication/random-decision-making-viable-solution-replacing-or-complementing-contemporary-selection

https://podtail.com/en/podcast/the-portal/18-slipping-the-disc-state-of-the-portal-chapter-2/

[i] Natürlich ist eine Filterfunktion in vielen Fällen nötig. Gewisse Paper kann man wegen schlechter Qualität oder wissenschaftlich falscher Arbeit ausschließen. Bei der Wahl politischer Entscheidungsträger, kann es gewisse Qualifikationsanforderungen geben. In vielen Fällen kann man einen demokratischen Prozess, welcher einen akzeptablen Pool an Kandidaten herausfiltert, mit einem Zufallsmechanismus, der die endgültige Entscheidung trifft, kombinieren.