noah leidinger

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Künstliche Ratten – ein neuer Windtunnel

In einer Kollaboration mit Harvard hat diese Woche das berüchtigte KI-Unternehmen DeepMind erneut auf sich aufmerksam gemacht. Neben der Entwicklung eines neuen Modells auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz wurden für dieses Projekt sogar zwei Long Evans Ratten seziert.

Für Neurologen ist es schwer, allgemeine Zusammenhänge zwischen der neuronalen Aktivität von Labortieren und ihren Handlungen herzustellen. In Versuchen kann man meist nur eine einzige Aktivität untersuchen und daher lediglich begrenzt allgemeine Schlüsse ziehen. Doch genau das interessiert die Neurologen besonders. Sie interessiert die Frage, in welcher Art und Weise gewisse Bewegungen und Handlungen im neurologischen System von Mensch und Tier abgespeichert werden.

„The platform could be the neuroscience equivalent of a wind tunnel.” – Jesse Marshall von der Harvard University.

Also haben die Wissenschaftler von Harvard und DeepMind ein virtuelles Rattenmodell geschaffen. Die Ratte wurde nach den genauen Maßstäben der vorher angesprochenen Long Evans Ratten konstruiert und ist neben realitätsgetreuen Gelenken und Sehnen mit einem Sehsinn sowie einem Gefühl für den eigenen Körper – also einer Selbstwahrnehmung – ausgestattet.

Man setzte diese Ratte nun in einen virtuellen Raum, in welchem sie unter anderem durch ein Labyrinth navigieren, Futter sammeln und Bälle fangen musste. Genau an dieser Stelle kam dann auch die Künstliche Intelligenz ins Spiel: Man hat die Ratte nicht für diese Aufgaben programmiert, sondern ließ sie mit einem sogenannten Reinforcement-Learning-Modell selbst lernen. Dadurch soll die evolutionäre Entwicklung von Gehirn und Bewegungen nachgestellt werden. Vereinfacht gesagt läuft das so ab, dass die Ratte anfangs rein zufällige Bewegungen durchführt. Wenn sie per Zufall eine Aufgabe richtig erfüllt, bekommt sie dafür Punkte. Aus diesen Punkten lernt sie dann, was richtig und was falsch ist. Nach einigen Trainingsläufen ist die Maus schließlich erstaunlich gut in der Lage, die Aufgaben durchzuführen.

Natürlich kommt diese Ratte einer echten Ratte noch in keiner Weise gleich, doch es gab einige durchaus überraschende Ergebnisse. Zum Beispiel wies die digitale Ratte beim Galoppieren die gleiche Schrittfrequenz wie ihre realen Vorbilder auf.

Nachdem die Ratte nun gelernt hatte, die Aufgaben durchzuführen, kam der spannende Part. Die Wissenschaftler haben, in Anlehnung an Methoden der Neurologie, das Verhalten des Machine-Learning-Netzwerks untersucht. Sie haben sich also angesehen, wie das künstliche Gehirn der Maus bei verschiedenen Aktivitäten agiert.

So konnten sie unter anderem zeigen, dass viele Mikrobewegungen bei allen Aktivitäten neurologisch  gleich ablaufen und es zwei Teile im neurologischen System der virtuellen Ratte gibt. Es gibt einen Teil, der die abstrakten Aufgaben versteht und die Informationen für einzelne Handlungen enthält. Der andere Teil kodiert schließlich für die jeweiligen Mikrobewegungen.

Allerdings muss man diese Erkenntnisse mit einer ordentlichen Prise Salz genießen. Die Wissenschaftler haben das Lernmodell in manchen Aspekten genauso aufgebaut, dass so eine Struktur mit hoher Wahrscheinlichkeit entsteht. Sie haben sich also bei dem Bau des Lernmodells auf bisherige neurologische Theorien bezogen und diese Theorien dann mit den Erkenntnissen aus dem Modell zu unterstützen versucht – dem darf man also sicherlich noch nicht zu viel Wichtigkeit beimessen.

Viel wichtiger ist, wie die Wissenschaftler die digitale Ratte untersucht haben. Hier kommen nämlich die zukünftigen Potentiale dieser Methode zum Ausdruck. Beispielsweise konnten sie einfach einzelne Bestandteile des Netzwerkes abdrehen und dann untersuchen, inwiefern das die Aktivität des Tieres beeinflusste. Natürlich ist auch der Fakt, dass das gesamte Modell digital ist und man sich so jeden winzigen Teilaspekt sehr genau ansehen kann ein enormer Potentialbereich für zukünftige Forschung.

Mit diesem Modell legen die Wissenschaftler von DeepMind und Harvard also vielleicht tatsächlich den Grundstein für die neuen Windtunnel der Neurologie. Auch wenn der aktuelle Windtunnel noch eher einem sehr guten Ventilator gleichkommt.

Zum Weiterlesen:

https://openreview.net/pdf?id=SyxrxR4KPS

https://spectrum.ieee.org/tech-talk/artificial-intelligence/machine-learning/ai-powered-rat-valuable-new-tool-neuroscience

Videoaufnahmen der virtuellen Ratte:

https://www.youtube.com/watch?v=UeYYOKer54g&feature=youtu.be

https://www.youtube.com/watch?v=w51o3XGnHnc&feature=youtu.be

https://www.youtube.com/watch?v=XV3tz1bpjdg&feature=youtu.be