Epistemische Ungerechtigkeit – Kinder
Der Begriff der epistemischen Ungerechtigkeit stammt ursprünglich von der britischen Philosophin Miranda Fricker. Diese Form der Ungerechtigkeit kommt dann zum Tragen, wenn Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe weniger Glaubwürdigkeit zugesprochen wird.
Damit ist die epistemische Ungerechtigkeit eine sehr fundamentale Form der Diskriminierung: Der Mensch wird in seiner essentiellen Fähigkeit, zu wissen, diskriminiert.
Miranda Fricker fokussiert sich in ihrer Arbeit rund um dieses Phänomen sehr stark auf die Diskriminierung auf Basis der Ethnie oder des Geschlechts. Bei den beiden Philosophen Michael D. Burroughs und Deborah Tollefsen steht hingegen eine andere gesellschaftliche Gruppe im Fokus: die Kinder.[i]
So deutet immer mehr Forschung darauf hin, dass Kinder ab dem Alter von 6 Jahren vergangene Ereignisse ebenso genau nacherzählen können wie Erwachsene. Dennoch wird Kindern in der Regel weit weniger Glaubwürdigkeit zugesprochen als Erwachsenen – was nicht nur im Alltag, sondern beispielsweise auch vor Gericht eine breite Bandbreite an negativen Folgen hat.
Zum einen verliert die Gesellschaft durch die epistemische Ungerechtigkeit an Kindern eine Menge an nützlichen Erkenntnissen. Denn, wenn Kinder mit den richtigen Methoden (Stichwort: aktives Zuhören) befragt werden, können sie als Wissende genauso zum Diskurs beitragen wie Erwachsene.
Das Problem ist nur, dass die meisten Gebiete des Diskurses – so beispielsweise der Gerichtssaal – auf Erwachsene und eben nicht auf Kinder ausgelegt sind.
Neben dem gesellschaftlichen Erkenntnisverlust wirkt sich die epistemische Ungerechtigkeit negativ auf die Kinder selbst aus. Die Selbstwahrnehmung leidet enorm, wenn man stets als unglaubwürdig abgestempelt wird. Dazu kommt der Effekt der selbsterfüllenden Prophezeiung: Wenn man von allen Seiten hört, dass man nicht in der Lage sei, wahrheitsgemäß auszusagen, wird man ab einem gewissen Punkt tatsächlich nicht mehr in der Lage sein, wahrheitsgemäß auszusagen.
Zum Weiterhören und Weiterlesen:
https://canvas.uw.edu/files/50551898/download?download_frd=1
https://notoverthinking.com/how-can-we-treat-children-morally/
https://notoverthinking.com/how-can-we-treat-children-morally-part-2/
[i] Die beiden analysieren dieses Phänomen in ihrem Paper „Learning to listen: Epistemic injustice and the child.”