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Marktmechanismen der Wissenschaft

Je komplexer wissenschaftliche Probleme, je offener die Zusammenarbeit unter Wissenschaftlern und je unzähliger die Anzahl an technologischen Hilfsmitteln – desto mehr wird Wissenschaft von Marktmechanismen beherrscht.

Es ist erstaunlich, was Märkte in der Wirtschaft zu Stande bringen. Sie regeln Preise, sorgen für die Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage, bringen Innovationen hervor.

Märkte schaffen das alles ohne einen zentralen Kontrolleur.[i]

In vielen Fällen sind Märkte ein potentes Werkzeug. In diversen anderen Fällen machen sie aber gravierende Fehler. Im Grunde passiert beides aus dem gleichen Grund.

Die eigentliche Stärke der Märkte besteht darin, dass sie gemäß dem Gesetz der großen Zahlen eine möglichst optimale Lösung finden. Kein einzelner Marktteilnehmer handelt perfekt, doch im Großen und Ganzen gleichen sich die Fehler aus.

Problematisch wird es, wenn alle Marktteilnehmer Fehler in dieselbe Richtung machen. Bestes Beispiel hierfür sind die oft vollkommen übertriebenen Reaktionen an den Börsen.

Wie der Quantenphysiker Michael Nielsen betont, wird auch die Wissenschaft in den nächsten Jahrzehnten vermehrt mit solchen Problemen konfrontiert sein.

In vergangenen Jahrhunderten war ein einzelner Wissenschaftler meist problemlos in der Lage, seine Erkenntnisse und Beweismethoden vollumfassend zu verstehen.

Doch schon in den letzten Jahrzehnten begann dieses Phänomen vermehrt zu bröckeln. Ein sehr eindrucksvolles Beispiel aus der Mathematik: Die Klassifikation von endlichen einfachen Gruppen.

Der Beweis für dieses mathematische Problem kam nicht von einem einzigen Mathematiker, sondern von mehr als 100 Autoren, die über die Jahre hunderte wissenschaftliche Artikel zu diesem Thema verfasst haben. Kaum einer der Autoren wird in der Lage sein, alle Einzelheiten des Beweises - der insgesamt fast 15.000 Seiten umfasst – komplett zu verstehen.[ii]

Auch in der Physik ist in Anbetracht immer komplexer werdender Forschungsinstrumente fraglich, ob ein vollständiges Verständnis von Erkenntnissen und ihrem Beweismaterial möglich ist.

Sobald wir Künstliche Intelligenz in den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess einbinden, hat sich die Sache ohnehin erledigt.[iii]

Grundsätzlich ist dieser Trend nicht negativ. Die Probleme werden umfangreicher und so auch unsere Lösungsmethoden. Dennoch bringen diese Entwicklungen einige Schwierigkeiten mit sich, auf die man sich einstellen muss.

Zum einen muss man die klassische Kettenreaktion von Märkten verhindern. In der Wissenschaft bedeutet das: Faktoren ausschalten, die zu einer starken Korrelation von Fehlerquellen führen können.

Zum anderen muss man die Erkenntnissysteme resilienter machen. Es gibt durchaus Bereiche – wie den Flugzeug- oder Raketenbau - in denen wir Menschen den sicheren Umgang mit komplizierten Systemen gelernt haben.

In der Praxis ist kein Flugzeug vollkommen defektfrei. Wenn Millionen Teilchen miteinander interagieren, sind selbst bei sehr niedrigen Fehlerquoten die Fehler unvermeidbar.

Das ist aber egal, solange das System resilient genug ist und Fehler aushalten kann. I.e. das Flugzeug stürzt nicht gleich ab, wenn ein Schrauben etwas zu locker montiert ist.

Genau diese Resilienz braucht auch die Wissenschaft der Zukunft. Ein Beweis der sich aus hunderttausenden Teilen zusammensetzt, wird fast unweigerlich den ein oder anderen kleinen Fehler enthalten. Es braucht nun zum einen die passenden Systeme, um derartige Fehler schnell zu finden, zum anderen darf eine Erkenntnis nicht schon durch den kleinsten Beweisdefekt lahmgelegt werden.

Zum Weiterlesen:

http://michaelnielsen.org/blog/science-beyond-individual-understanding/

http://michaelnielsen.org/blog/some-garbage-in-gold-out/

[i] Tatsächlich ist es unmöglich, die Phänomene des Marktes auf einer mikroskopischen Ebene zu verstehen.

[ii] Mit „verstehen“ ist damit nicht nur gemeint, dass man den Beweis nachvollziehen kann. Vielmehr ist gemeint, dass man in der Lage ist, alle Beweisstücke selbstständig nachzustellen.

[iii] Bezogen auf die aktuellen KI-Methoden, die in der Regel eine große Black-Box darstellen.