Wirtschaftliche Migration – ein neues System
Grundlage für diesen Artikel ist das Paper „Migration for the benefit of all: Towards a new paradigm for economic immigration“ von Eric Weinstein. Aufbauend auf der inhaltlichen und methodischen Dimension seiner Gedanken wird in den nächsten Tagen noch der ein oder andere Artikel erscheinen.
Die Dynamiken wirtschaftlicher Migration[i]
Oft wird als Grund für die weit verbreitete Opposition gegen Immigration die Xenophobie oder Fremdenfeindlichkeit genannt. Blickt man zurück in die Zeiten des Sklavenhandels war Xenophobie oft viel stärker ausgeprägt als heute. Dennoch war die Bevölkerung ohne weiteres bereit, eine sehr hohe Anzahl an Sklaven, also Ausländern, in das eigene Land zu lassen. Wenn es also um das Selbstinteresse geht, scheint die Xenophobie keine so große Rolle zu spielen. Wenn also breite Schichten der Gesellschaft denken würden, dass sie von wirtschaftlicher Immigration profitieren, würden sie ihre Ausländerfeindlichkeit in diesem Zusammenhang wohl ausblenden.
Der Marktmechanismus der hinter wirtschaftlicher Immigration steckt, ist ein recht einfacher. Die Löhne im Land der Immigranten sind niedriger, als im Zielland. Die Immigranten sind bereit dazu, im Zielland zu einem Preis zu arbeiten, der zwar höher als in ihrem Heimatland, aber niedriger als im Zielland ist. Dadurch kann das Heimatland die Löhne reduzieren und das bei gleichbleibender Produktion, was einem Produktivitätsgewinn gleichkommt.[ii]
Dieser Marktmechanismus klärt also, wieso Migration grundsätzlich als etwas volkswirtschaftlich Wünschenswertes angesehen wird. Von den sinkenden Löhnen profitieren aber im Grunde nur die Arbeitgeber, also die Besitzer von Kapital. Die einheimischen Arbeitnehmer hingegen sehen sich mit mehr Konkurrenz konfrontiert und einem insgesamt geringeren Lohnniveau, letzteres bewirkt ja den wohlstandsfördernden Effekt der Migration.
Tatsächlich fungiert diese Art der freien Immigration von Arbeitern aus Ländern mit niedrigeren Löhnen als eine Art Umverteilungssteuer, die Einkommen von einheimischen Arbeitern zu einheimischen Arbeitgebern transferiert. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist so ein Transfer zwar ein neutraler Prozess, wenn aber Bürger mit Selbstinteresse in der Demokratie wählen, spielt der Verlust ihres Einkommen sehr wohl eine Rolle. Für diese Art der Migration wird man keine stabile Koalition finden, durch die sie politisch gefestigt wird, obwohl sie den Wohlstand des Landes im Durchschnitt hebt.
In anderen Worten wird diese Art der Immigration immer zu einer Erhöhung des Wohlstands, gemessen am arithmetischen Mittel des Einkommens, führen, nicht aber unbedingt zu einer Erhöhung des Wohlstandes, gemessen am Median des Einkommens.
Das alles ist vor dem Hintergrund zu betrachten, dass im gesellschaftlichen Konsens die Staatsbürger normalerweise das Recht auf einen bevorzugten Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt haben.
Rechte lizenzieren – Eigeninteresse als Lösung
Die Senkung des Lohnniveaus ist ein entscheidender Faktor für den wohlstandssteigernden Effekt von Migration. Gleichzeitig werden sich Arbeiter nicht für die Migration einsetzen, wenn ihr Einkommen dadurch sinkt.
Ist das also der entscheidende Widerspruch, der keine wirtschaftliche Migration mit breitem gesellschaftlichem Konsens möglich macht?
Nein, denn es geht den Arbeitern nicht nur um ihren Lohn, sondern um ihr gesamtes Einkommen. Findet man nun einen Mechanismus, der einen Teil des Profits, den die Unternehmen durch die Migration erhalten, auf die Arbeitnehmer umschichtet, kann sich auch für letztere eine Steigerung des Wohlstandes ergeben.
Wenn ein Migrant in den Arbeitsmarkt des Ziellandes einsteigt, bekommt er im Grunde ein Recht auf Zugang zu diesem Arbeitsmarkt. Wie besprochen ist das Recht des Zugangs zum Arbeitsmarkt ein essentielles Recht der Staatsbürger. Im Grunde findet hier also ein Rechtstransfer statt.
Man kann diesen Rechtstransfer nun in ein Marktsystem überführen, wo die Arbeiterschicht Zugangslizenzen verkauft und die Unternehmer, welche Migranten einstellen wollen, die Lizenzen kaufen. Am Verkauf der Lizenzen kann gleichzeitig auch noch der Staat verdienen, der öffentliche Güter finanzieren muss, welche von den Migranten genutzt werden. Durch dieses Lizenzsystem wird also der bisher einzige Profiteur im Heimatland, der Kapitalist, dazu verpflichtet, einen Teil der Profite an den Staat und einen Teil an die Arbeiter abzugeben. Dadurch steigt der Wohlstand aller Gesellschafsschichten.
Diese Lizenzen sind dabei keine Verletzung der freien Märkte. In einem nicht regulierten Migrationssystem steht nämlich der Unternehmer als Nachfrager dem Migranten als Anbieter gegenüber. Der Unternehmer präsentiert das Zielland aber nicht angemessen. Er bekommt einen Großteil des Profits, hat aber nur einen Bruchteil der Kosten zu schultern, welche vor allem auf Staat und einheimischen Arbeitern lasten. Mit dem Lizenzsystem kreiert man also einen repräsentativeren Nachfrager, der die gesellschaftlichen Gesamtkosten, die durch die Migration entstehen, in seine Entscheidungen miteinbezieht.
Der entscheidende Schritt dieser Lösung ist die Lizenzierung des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt. Grundsätzlich ist ein Recht, das man handeln kann, wertvoller als das gleiche Recht ohne Handelbarkeit. Die Besitzer des Rechts profitieren also schon in diesem Schritt. Gleichzeitig profitiert die andere Partei, in diesem Fall die Unternehmer, die vorher keine Chance hatten, ihre Interessen durchzusetzen, da ihnen die Rechte fehlten. Diese Rechte können nun in einem Marktsystem fair gehandelt werden. Wenn in diesem System alle ihre Eigeninteressen verfolgen, kommt es zu einem optimalen Ergebnis, bei dem von den Migranten über die Unternehmer bis hin zu den einheimischen Arbeitern alle profitieren.
[i] In diesem Artikel geht es ausschließlich um wirtschaftliche Immigration. Bei Themen wie Asyl sollen diese Betrachtungen vorerst keine Rolle spielen.
[ii] Auch gibt es den Effekt, dass im Zielland ein Mangel an Arbeitern in einem gewissen Sektor besteht, diesen Mangel können ebenfalls Migranten füllen.