noah leidinger

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Selbstüberschätzung – das Erbe des Erfolgs

Ökonomischer, akademischer und gesellschaftlicher Erfolg wird selbst in sehr offenen Gesellschaften mit einem guten Sozialsystem und Unterstützung für alle Schichten immer noch vererbt. Prestigeträchtige Firmen nehmen eher Bewerber aus prestigeträchtigen Unis und erfolgreiche Unternehmer kommen tendenziell aus erfolgreichen Familien. Für diesen Zustand gibt es verschiedene Erklärungsmodelle reichend von bewusster oder unbewusster Diskriminierung hin zu strukturellen und systematischen Faktoren, die schwer zu identifizieren sind.

Ein wichtiger und oft übersehener Faktor ist das Selbstbewusstsein. In ihrem 2020 erschienenen Paper „The social advantage of miscalibrated individuals: The relationship between social class and overconfidence and its implications for class-based inequality.” beschreiben Margaret A. Neale et al., wie sich der soziale Status auf die Selbstüberschätzung auswirkt, die wiederum Erfolg begünstigt.

In vier Studien mit insgesamt 152.661 Teilnehmern (S1: 150.949, S2: 433, S3: 1.000, S4: 279) konnten sie, dass vor allem die subjektive Einschätzung des eigenen Status die Selbstüberschätzung entscheidend beeinflusst.

Dabei wurde die Selbstüberschätzung anhand des sogenannten Overplacements gemessen. Man gab den Teilnehmern also bestimmte Aufgaben und befragte sie dahingehend, wie gut sie ihre eigene Leistung gegenüber der Leistung der anderen Teilnehmer einschätzen. Diese subjektive Einschätzung verglich man mit einer objektiven Einordnung der Leistung. Je stärker die Differenz zwischen subjektiver Einschätzung und objektiver Einordnung, desto höher die Selbstüberschätzung.

Während der Zusammenhang zwischen dem objektiv betrachteten sozialen Status und der eigenen Selbstüberschätzung je nach statistischem Analyseverfahren der Ergebnisse schwach bis gar nicht gegeben war, hat sich in allen vier Studien ein starker Zusammenhang zwischen dem subjektiven Empfinden des eigenen sozialen Status und der Selbstüberschätzung gezeigt.

Menschen, die ihren eigenen gesellschaftlichen Status als hoch ansehen, überschätzen ihre eigenen Leistungen also mehr als andere. Und diese Selbstüberschätzung wirkt sich entscheidend auf den Erfolg aus. Solche Menschen treten selbstbewusster auf und wirken kompetenter, auch wenn sie es gar nicht sind.

Genau diesen Zusammenhang zwischen Selbstüberschätzung und der ausgestrahlten Kompetenz wurde in der vierten Studie anhand eines fiktiven Vorstellungsgespräches simuliert. Das Ergebnis: Unabhängig von der wirklichen Kompetenz wirkten Menschen mit hoher Selbstüberschätzung kompetenter und waren so auch erfolgreicher im Vorstellungsgespräch.

Als Grund dafür, dass Menschen mit höherem sozialem Status ein höheres Maß an Selbstüberschätzung aufweisen, ziehen Margaret A. Neale und Kollegen zwei Theorien in Betracht. Die Cultural Mismatch Theory besagt, dass Personen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten unterschiedliche Normen dafür bekommen, was es heißt eine erfolgreiche und wertgeschätzte Person zu sein.

In höheren Schichten dominiert hierbei das unabhängige Modell. Ein Mensch ist nach diesem Modell dann erfolgreich, wenn er selbstbestimmt handelt, zielstrebig ist, sich durchsetzen kann und selbstbewusst auftritt.

In niedrigeren Gesellschaftsschichten dominiert hingegen das abhängige Modell. Ein erfolgreicher Mensch passt sich seinen Umständen an, respektiert die gegebenen Hierarchien sowie die Wünsche und Bedürfnisse anderer.

Ein zweites Erklärungsmodell bezieht sich auf das eigene Rangbedürfnis. Diverse Studien haben gezeigt, dass Menschen mit einem höheren sozialen Status ein stärkeres Bedürfnis haben, noch weiter aufzusteigen beziehungsweise ihren hohen Rang in der Gesellschaft beizubehalten. Das mag durchaus auch mit der Cultural Mismatch Theory zusammenhängen. Wer sich also in einer höheren Gesellschaftsschicht befindet ist nach dem unabhängigen Modell sehr auf seine eigenen Ziele und seinen eigenen Erfolg fokussiert, wobei der soziale Rang eine essentielle Rolle spielt. Menschen die hingegen eher durch das abhängige Modell geprägt sind, erachten das eigene soziale Umfeld als wichtiger und haben deshalb kein so starkes Bedürfnis selbst einen höheren Rang zu erlangen.

Was auch immer der tatsächliche Hintergrund ist, das Phänomen ist jedenfalls eindeutig: Menschen die ihren eigenen sozialen Status als hoch empfinden, tendieren eher dazu, sich selbst zu überschätzen. Das lässt sie kompetenter wirken als sie eigentlich sind und macht sie dadurch erfolgreicher.

Schlussendlich führt das zu einer recht eindeutigen Conclusio wenn es darum geht, die Vererbung von ökonomischem, akademischem und gesellschaftlichem Erfolg zu reduzieren. Man muss sowohl bei Bewerbungsverfahren als auch bei Benotungs- und Assessmentmethoden versuchen, die Komponente der ausgestrahlten Kompetenz möglichst vollständig zu eliminieren und stattdessen vermehrt auf tatsächliche Tests der Fähigkeiten setzen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, der bei Bewerbungsgesprächen anfängt und bei mündlichen Prüfungen aufhört.

Zum Weiterlesen:

https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2Fpspi0000187