Subjektiver wissenschaftlicher Konsens
Über wissenschaftlichen Konsens braucht man nicht zu streiten. Wissenschaftlicher Konsens kann zwar sehr wohl falsch sein und man muss mit ihm nicht übereinstimmen. Wie der wissenschaftliche Konsens selbst aber lautet, sollte sich durch hochwertige Umfragen eindeutig ermitteln lassen.[i]
Viele von uns haben eine andere Meinung als der wissenschaftliche Konsens. Menschen am rechten Ende des politischen Spektrums tendieren dazu, den Klimawandel als weniger gravierend einzuschätzen. Menschen am linken Ende des politischen Spektrums tendieren dazu, die Atomkraft als viel gravierender einzuschätzen.
Die Krux an der Geschichte: In diversen Studien zeigt sich, dass die meisten glauben, der wissenschaftliche Konsens sei auf ihrer Seite. In den USA glauben 70% der Demokraten, dass Wissenschaftler die Menschen als Ursache des Klimawandels erachten. Gleichzeitig glauben 49% der Republikaner, dass Wissenschaftler die Menschen nicht als Ursache des Klimawandels erachten.[ii]
Anstatt also zu sagen, dass man aus diesem und jenem Grund nicht mit dem wissenschaftlichen Konsens übereinstimmt – was völlig legitim wäre – glauben die meisten von uns an einen Konsens, der unserer eigenen Meinung entspricht.
Den Grund dafür scheinen Dan M. Kahan und Kollegen in einer Studie mit circa 830 Amerikanern gefunden zu haben. Man zeigte den Teilnehmern jeweils die Biografie eines Wissenschaftlers und befragte sie daraufhin, ob der Wissenschaftler ein Experte sei.[iii]
Der Trick: Man zeigte allen die gleiche Biografie, änderte aber jeweils die Meinung des Wissenschaftlers zu Themen wie dem Klimawandel, Waffengesetzen und Atomkraftwerken.
Die Ergebnisse waren erwartungsgemäß enttäuschend. Wenn die Meinung des Wissenschaftlers der eigenen Position zum jeweiligen Thema entsprach, wurde er als Experte wahrgenommen. Widersprach der Wissenschaftler der eigenen Meinung, stuften ihn viele Teilnehmer nicht als Experten ein.
Die gestörte Wahrnehmung des wissenschaftlichen Konsenses kommt ganz einfach daher, dass wir nur jene Personen als vertrauenswürdige Wissenschaftler erachten, die mit unseren Standpunkten übereinstimmen.
Zum Weiterlesen:
https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1549444
https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2973067
https://assets.pewresearch.org/wp-content/uploads/sites/14/2015/07/2015-07-01_science-and-politics_FINAL-1.pdf
[i] Man kann also sehr wohl über die Richtigkeit der Position streiten, die der wissenschaftliche Konsens vertritt. Man kann aber nicht darüber streiten, welche Position der wissenschaftliche Konsens vertritt, insofern der Konsens in qualitativ hochwertigen Umfragen eindeutig ermittelt wurde.
[ii] Laut einer Studie vom Pew Research Center, die am 1. Juli 2015 unter dem Titel „Americans, Politics and Science Issues” erschienen ist.
[iii] Die Studie findet sich in ihrem Paper „Cultural Cognition of Scientific Consensus“.