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Tauschwert von Bildung

“As a result, educational credentials come to take on a life of their own. Their value derives not from the useful knowledge they symbolize but from the kind of job for which they can be exchanged.” – David Labaree[i]

Die meisten Bildungsinstitutionen der westlichen Welt fokussieren sich auf Noten, Abschlüsse und Zertifikate. Das wird zwar immer wieder kritisiert, im Großen und Ganzen hat sich daran in den letzten Jahrzehnten aber rein gar nichts geändert.

Grundsätzlich entspringt dieses Problem dem Unterschied zwischen dem Tauschwert und dem intrinsischen Wert von Bildung. Kaum jemand macht Matura oder Abitur, weil ihn das dabei erlernte Wissen interessiert.

Der Abschluss hat hier nur sehr geringen intrinsischen Wert. Viel entscheidender ist der Tauschwert: Der Abschluss dient als Eintrittsgenehmigung für die Universität – nur, weil man den Abschluss gegen einen Universitätsplatz eintauschen kann, hat er seinen hohen Wert.

Tatsächlich gilt das Gleiche auch für viele Universitätsabschlüsse. Sie können nach dem Studium gegen einen Beruf eingetauscht werden. Natürlich lernt man im Studium auch bestimmte Fähigkeiten und Wissensinhalte, für viele Arbeitgeber ist der Abschluss aber eher ein Zeichen einer gewissen Lern- und Arbeitsethik.

Im Grunde ist das noch nicht unbedingt negativ, doch der Fokus auf den Tauschwert hat einige gravierende Konsequenzen.

Die meisten davon sind ohnehin offensichtlich. Schüler lernen nur die testrelevanten Inhalte, verlieren ihre Neugierde und bremsen so die eigene geistige Entwicklung. Menschen verschwenden viel Zeit beim Lernen von Inhalten, die weder interessant noch nützlich sind.

Diese Konsequenzen sind allesamt bedauernswert haben aber einen Vorteil: Wer durch Zufall, das richtige Umfeld oder passende Lehrpersonen den Eigenwert von Bildung erkennt, kann viele dieser Probleme umgehen. Wer also mit intrinsischer Motivation an die Bildung herangeht, kann trotz dem extrinsischen Fokus auf Zertifikate einiges dazulernen.

Es gibt aber auch Konsequenzen, bei denen der Tauschwert im Konflikt mit dem Eigenwert von Bildung steht: Denn im Bildungssystem mit Fokus auf Tauschwert muss man an gewissen Stellen aussortieren und die Spreu vom Weizen trennen. Ein beliebtes Tool dafür: die Mathematik.

Mathematik wird in der Regel mit einem starken Fokus auf Symbole, Regeln und strikte Logik unterrichtet. Dieser Fokus eignet sich besonders gut für standardisierte Tests, denn die Antworten sind eindeutig und die Aufgaben ebenso. Darüber hinaus haben viele Menschen ihre Probleme mit den abstrakten Symbolen der Mathematik – dadurch eignet sich das Fach besonders gut zur Aussortierung.

Doch der letzte Satz bedarf einer Ergänzung: Das Fach eignet sich vor allem in der traditionallen Form besonders gut zur Aussortierung. Würde man mehr Wert auf die mathematische Intuition, das eigenständige Lösen von Problemen und das Verständnis legen, so wäre die Mathematik ein Feld für eine viel breitere Masse an Menschen. Das wäre für den Eigenwert von Bildung zu 100% positiv, aus Sicht des Tauschwertes will man aber genau das nicht erreichen.

Zum Weiterlesen und Weiterhören:

https://link.springer.com/article/10.1007/s10649-011-9362-x

https://journals.sagepub.com/doi/10.3102/00028312034001039

https://www.benbenandblue.com/episodes/2017/11/25/bbb-8-credentials

[i] In seinem Essay “Public goods, private goods: The American struggle over educational goals”