Ironie des Fortschritts - 3 Aspekte
“Alongside all the other improvements, our surveillance of suffering has improved tremendously. This improved reporting is itself a sign of human progress, but it creates the impression of the exact opposite.” – Hans Rosling in seinem Buch “Factfulness: Ten reasons we’re wrong about the world – and why things are better than you think.”
Fortschritt hat eine ironische Wirkung, weil er, wie es scheint, von Natur aus verzerrt wahrgenommen wird. Diese ironische Facette spielt in Hans Roslings Buch „Factfulness“ eine besonders entscheidende Rolle. Wir nehmen den Fortschritt in Form von Fakten nicht wahr, weil ein kontinuierlicher Fortschritt niemals den Neuigkeitscharakter hat, den er für Nachrichten brauchen würde.
Gleichzeitig bekommen wir über bessere Kommunikationskanäle immer mehr mit, wie es in anderen Ländern zugeht. Der Fakt, dass viele Menschen in ehemals vollkommen verarmten Staaten heute ein Smartphone haben, führt nicht dazu, dass wir Ihren Aufstieg hin zum Smartphone erleben. Es führt dazu, dass wir durch die Smartphones mitbekommen, wie die Verhältnisse heute sind und das ist schlechter, als bei uns, auch wenn viel besser, als es früher war, als wir es noch nicht mitbekommen haben.
Gewaltfreiheit – Reduktion von Volatilität
Ein weiterer ironischer Aspekt der das Thema der Gewalt, insbesondere des Terrorismus, betrifft, bezieht sich auf die niedrige Volatilität, die durch den Fortschritt entsteht. In vielen westlichen Staaten sind wir ein außerordentlich friedliches Miteinander gewöhnt. Jede kleine Eskalation erleben wir sehr intensiv, da wir fast keine Schwankungen kennen und es im Grunde immer friedlich ist. In so einer Lage haben Terroristen ein leichtes Spiel, mit vergleichsweise harmlosen Anschlägen, einen großen Effekt auszulösen.
Wissenschaftlicher Fortschritt & Marketing
Ein dritter ironischer Aspekt betrifft die Wissenschaft. Es lassen sich gute Argumente dafür finden, dass Fortschritt in vielen wissenschaftlichen Bereichen in den letzten Jahren ins Stocken geraten ist. Gleichzeitig ist die Anzahl an Publikationen in den vergangenen Jahrzenten rasant angestiegen und es finden sich auch immer häufiger Schlagwörter wie „Breakthrough“ in den wissenschaftlichen Papers. Das gibt ein Gefühl von Fortschritt wo eigentlich keiner ist. Diese Methode lernt man schon in der Schule – wenn man keine Qualität zusammenbringt, versucht man es mit Quantität.
Eine Zeit des rasanten Fortschritts ist also vor allem durch weniger Zeit und Energie für Marketing geprägt und vice versa, wenn es mit dem Fortschritt eher schleppend vorangeht.
Alle diese drei Faktoren, und das war eine ziemlich zufällige Auswahl, führen also zu einer verzerrten Wahrnehmung von Fortschritt. Es bleibt uns wieder mal nur eines: eine inhaltliche und faktenbasierte Auseinandersetzung mit den Themen, weil unser Gehirn uns sonst in die Irre denkt.
Zum Weiterlesen und Weiterhören:
https://podcast.zukunft-denken.eu/e/018-%e2%80%93-gesprach-mit-andreas-windisch-physik-fortschritt-oder-stagnation/
https://www.theatlantic.com/science/archive/2018/11/diminishing-returns-science/575665/
Rosling, Hans: Factfulness: Ten reasons we’re wrong about the world – and why things are better than you think. London: 2018.
Harari, Yuval: 21 Lessons for the 21st Century. London: 2018.