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Weg mit den Modellen? Nein!

„The trouble with things like these is that many of the real situations which are apt to arise are so complicated that they cannot be fully represented by one mathematical model. With structures there are often several alternative possible modes of failure. Naturally the structure breaks in whichever of these ways turns out to be the weakest – which is too often the one which nobody had happened to think of, let alone do sums about.” – James Edward Gordon in seinem lesenswerten Buch “Structures: Or Why Things Don’t Fall Down”.

In vielen Wissenschaften spielen Modelle eine große Rolle, vor allem die mathematischen spieltheoretischen Modelle stehen allerdings oft in der Kritik. Stehen in der Kritik weil sie, genau wie es James Edward Gordon im anfänglichen Zitat beschreibt, nicht alle Aspekte abbilden und die Realität niemals vollständig repräsentieren können.

Viele beachten dabei nicht, dass das Erstellen eines mathematischen Modells nicht bedeutet, dass man sich genau an dieses Modell halten muss. In vielen Fällen ist es vor allem der Prozess der Modelerstellung selbst, der einen großen Mehrwert schafft.

In diesem Prozess werden Annahmen explizit, die bisher implizit und unbewusst getroffen wurden. In diesem Prozess kann man gewisse Dinge reflektierter und nuancierter betrachten, mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten, anstatt mit absoluten Größen. In diesem Prozess wird klar, was man alles nicht abbilden kann, werden also die Risiken verdeutlicht.

Der bekannte New Yorker Finanzprofessor Aswath Damodaran beispielsweise ist bekannt für seine recht umfangreichen Modelle. Dabei stellt er oft Dinge sehr genau dar, die andere mit Standardmethoden und Durchschnittswerten abtun. Genau dafür wird er oft kritisiert. Er treffe zu viele Annahmen.

Seine Antwort ist, dass er zwar viele Annahmen trifft, die mit Sicherheit oft falsch sind, er sie aber zumindest explizit trifft, während die meisten anderen diese Annahmen implizit einbauen und sich dessen gar nicht bewusst sind.

Annie Duke berichtet in ihrem Buch „Thinking in bets: Making smarter decisions when you don’t have all the facts.“ davon, dass sie es gewohnt ist, mit dem erwarteten Profit einer Entscheidung zu arbeiten (also dem potentiellen Profit multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit dieses Profits). Wenn sie diese Vorgehensweise ihren Beratungskunden präsentiert, reagieren diese aber oft ablehnend. Man wisse ja nicht, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Profit eintreten wird, also rechnet man einfach mit dem potentiellen Gewinn. Dass eine ungefähr geschätzte Wahrscheinlichkeit die Realität viel besser abbilden würde, als der absolute Wert, bedenken viele nicht.

Wir treffen also lieber keine expliziten Annahmen, wenn wir keine perfekten Annahmen treffen können. Dass explizite ungefähre Annahmen oft besser sind, als die Unsicherheit einfach zu ignorieren, kommt uns dabei nicht in den Sinn.

Zum Weiterlesen:

Gordon, James: Structures. Or why things don’t fall down. Cambridge: 2003.

Duke, Annie: Thinking in bets. Making smarter decisions when you don’t have all the facts. New York: 2018.