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Psychologie der Massen und Ideenträgheit

„Ideen brauchen lange Zeit, um sich in der Masse festzusetzen, und sie brauchen nicht weniger Zeit, um wieder daraus zu verschwinden. Auch sind die Massen in Bezug auf Ideen immer mehrere Generationen hinter den Wissenschaftlern und Philosophen zurück.“ – Gustave Le Bon in seinem legendären Buch „Psychologie der Massen“.

Schon 1895 hat der Soziologe Gustave Le Bon erkannt, dass das Denken der Massen nicht flexibel ist. Es ist schwer eine Idee im Volk zu verankern, aber noch viel schwerer diese Idee wieder aus den Köpfen zu lösen.

Auch wenn es die Menschen nicht wahrhaben wollen – die Welt ist voll von Ambiguitäten. Es gibt in vielen Fällen keine absoluten Wahrheiten oder klare Antworten. Doch genau solche Antworten müssen Politiker in ihren Wahlkämpfen geben.

Hätten man 1978 gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes in Zwentendorf mit Slogans wie - „Aktuell macht die Inbetriebnahme eines Atomkraftwerkes keinen Sinn, da die Technologie noch nicht voll ausgereift ist und es zu viele Ungewissheiten gibt“ - geworben, so hätte man die Wähler niemals in die Wahlkabinen gebracht. Dafür mussten schon Slogans der Art - „Stoppt Zwentendorf, Atomkraftwerke sind eine tickende Zeitbombe“ - auf den Wahlplakaten platziert werden.

Das Problem ist, dass wir in einer Zeit des rapiden technologischen Fortschrittes leben und Atomkraftwerke beispielsweise den Kohlenkraftwerken aus heutiger Sicht vollkommen überlegen sind. Mit so einer Meinung braucht sich aber kein Politiker blicken zu lassen - „Atomkraftwerke sind schlecht“ - diese Idee ist fest im Volk verankert und wird sich so schnell nicht lösen.

Um nur ein weiteres Beispiel zu nennen: In seinem Buch Factfulness schreibt Hans Rosling unter anderem über die völlig veraltete Einteilung der Welt in Industrieländer und Entwicklungsländer. Mit diesem einfachen Muster kann man die Welt schon seit Jahrzehnten nicht mehr beschreiben, doch die Idee hat sich eingebürgert, leuchtet den meisten Menschen ein und wird auch medial ohne Überprüfung der Sinnhaftigkeit weiterverwendet.

Je mehr sich die Geschwindigkeit der Veränderung erhöht, desto gefährlicher wird diese Ideenträgheit der Massen. Wenn wir es dann auch noch vermehrt mit populistischen Politikern zu tun haben, die nicht von Idealen und eigenen Ideen getrieben sind, sondern einfach die Ideen adaptieren, die bei der Wählerschaft gut ankommen, dann sind wir an einem Punkt, wo die Demokratie es nicht mehr schafft, angemessen mit der Welt umzugehen.

Um das zu verhindern muss die Ambiguität der Welt respektiert werden. Anstatt von Wahrheiten gilt es von Wahrscheinlichkeiten zu sprechen.

Um das zu verhindern müssen Politiker sich wieder mehr auf Ideale besinnen. Anstatt die Ideen zu übernehmen, die in der Gesellschaft populär sind muss man gute Ideen so verpacken, dass sie in der Gesellschaft gut ankommen.

Um das zu verhindern muss die Wissenschaft lauter werden. Anstatt beratend zu agieren, wenn man gefragt wird, gilt es neue Entwicklungen publik zu machen, um so die Ideenträgheit der Massen zu reduzieren.

Zum Weiterlesen und Hören:

https://ganzoffengesagt.simplecast.com/episodes/27-die-regeln-des-politischen-spiels-mit-ferry-maier

Rosling, Hans: Factfulness: Ten reasons we’re wrong about the world – and why things are better than you think. London: 2018.

Le Bon, Gustave: Psychologie der Massen. [Deutsche Version]. o.O.: 1895.

Bauer, Thomas: Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Ditzingen: 2018.