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Industrialisierung und Demokratie

Stand Ende 2017 waren 167 Länder dieser Welt demokratisch, in nur 21 herrschten wirkliche Autokratien und in 46 gab es einen Mix an autokratischen und demokratischen Elementen. Im Vergleich dazu gab es 1977 nur in 35 Ländern Demokratien, wenn zugegebenermaßen auch die Anzahl an Ländern mit 143 etwas geringer war.

Und während man sicherlich darüber streiten kann, wie demokratisch die eine oder andere Nation wirklich ist, ist der Trend nicht zu verkennen. Die Demokratie als Regierungsform ist in den letzten Jahrzehnten auf dem Vormarsch.

Dennoch gibt es immer noch genug Staaten, in denen keine oder keine wirkliche Demokratie herrscht und ebenfalls viele, in denen die Demokratie nicht sehr stabil ist. Es stellt sich also die Frage, welche Faktoren eine Demokratisierung begünstigen und für eine stabile Demokratie sorgen.

Genau mit dieser Frage haben sich die beiden Ökonomen Daron Acemoglu und James A. Robinson in ihrem Buch „Economic origins of dictatorship and democracy“ auseinandergesetzt. Einen entscheidenden Faktor den die beiden identifiziert haben, nämlich die Ungleichheit, habe ich bereits in einem vorhergehenden Artikel behandelt.

„All three considerations imply that democratization is more likely in a more industrialized society where the elite own significant physical and human capital than a more agricultural society where the elites are mainly invested in land. Stated differently, democracy is more likely when the elites are industrialists rather than landowners.“ – James A. Robinson und Daron Acemoglu in ihrem lesenswerten Buch “Economic origins of dictatorship and democracy”.

Der zweite entscheidende Aspekt ist laut Einschätzung der beiden Ökonomen die wirtschaftliche Entwicklung. So spielt der Grad an Industrialisierung eine entscheidende Rolle.

Wenn eine Wirtschaft von der Landwirtschaft und natürlichen Ressourcen dominiert wird, haben die Eliten einen enormen Machtvorteil gegenüber der einfachen Bevölkerung. Auch gibt es für die Eliten keine Option, mit ihrem Reichtum auszuwandern, sollte es zu einer Demokratie kommen. Schließlich ist das gesamte Kapital in Form von landwirtschaftlichen Flächen und Rohstoffen im eigenen Land gebunden. Deshalb werden Eliten in wenig industrialisierten Nationen alles tun, um eine Demokratisierung zu vermeiden, auch wenn dazu drastische Unterdrückungsmaßnahmen nötig sind.

In einer industrialisierten Wirtschaft hingegen, in der auch der tertiäre Sektor eine immer entscheidendere Rolle spielt, sind die Kosten von Unterdrückungsmaßnahmen für die Eliten weitaus höher. Man ist auf das Humankapital der Arbeiter angewiesen und muss eine gewisse Vertrauensbasis mit ihnen aufbauen. Das bedeutet auch, den Arbeitern gewisse Zugeständnisse machen, damit sie ihre Arbeit gut verrichten. Gleichzeitig ist man weder als Industrie- noch als Dienstleistungsbetrieb so stark an das eigene Land gebunden, wie ein Rohstoff- oder Landwirtschaftsunternehmen. Sollte es also zu einer Demokratie kommen, die dem eigenen Unternehmen schadet, bleibt immer noch die Option der Auswanderung.

Schließlich spielt die Mittelschicht bei der Demokratisierung eine entscheidende Rolle. Die Mittelschicht fungiert als Puffer zwischen Eliten und dem einfachen Volk. Ein großes Risiko, das die Demokratisierung für die Eliten beinhaltet, sind drastische Umverteilungsmaßnahmen. Wenn die Eliten aber wissen, dass es eine breite Mittelschicht gibt, die sich gegen zu drastische Umverteilungen einsetzen wird, dann ist das Risiko der Demokratisierung für die Eliten signifikant geringer. Da industrialisierte Staaten tendenziell viel ausgeprägtere Mittelschichten aufweisen, als landwirtschaftlich geprägte Nationen, ist dies ein weiterer Mechanismus durch den wirtschaftliche Entwicklung die Demokratisierung fördert.

Zum Weiterlesen:

https://www.pewresearch.org/fact-tank/2019/05/14/more-than-half-of-countries-are-democratic/

Acemoglu, Daron u.a.: Economic origins of dictatorship and democracy. New York: 2012.