text

Intelligentere Babys & Status-Quo-Bias

Fortschritte in der Gen- und Neurotechnik werden uns in Zukunft vermehrt vor die Frage stellen, ob eine künstliche Erhöhung menschlicher Intelligenz wünschenswert ist. Mal angenommen, so ein Eingriff – ob vor oder nach der Geburt – ist technisch einfach machbar und mit keinen medizinischen Nachteilen verbunden.

Selbst unter dieser Annahme gibt es zwei entscheidende Kritikpunkte.

Wenn nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Zugang zu solche Maßnahmen bekommt, wird die Gesellschaft nur noch stärker in Ungleichheit versinken. Die Reichen und Intelligenten werden intelligenter und reicher, die Armen werden zur nutzlosen Klasse – wie Yuval Noah Harari es so treffend formuliert hat.

Wenn hingegen alle Menschen ihre Intelligenz erhöhen, ist der Vorteil so eines Eingriffes ziemlich unklar. Er würde keinen Wettbewerbsvorteil bedeuten, da alle anderen auch gescheiter sind. Des Weiteren ist ja gar nicht auszumalen, wie sich ein allgemeiner Intelligenzanstieg auf unsere gesellschaftlichen Strukturen auswirken würde.

Diese Kritik an der Intelligenzsteigerung wirkt durchaus sinnvoll und lässt im Grunde zwei Schlussfolgerungen zu: Erstens sollten wir die Intelligenz der Intelligenten und Reichen senken. Zweitens sollten wir die allgemeine Intelligenz senken.

Klingt absurd und genau das ist der Punkt. Diesen Perspektivenwechsel bezeichnen die beiden Philosophen Nick Bostrom und Toby Ord in ihrem Paper „The reversal test: Eliminating status quo bias in applied ethics.“ als den Umkehrtest.

Einer der gravierendsten kognitiven Fehler in unserer Entscheidungsfindung ist der Status-Quo-Bias. Von der Verlust-Aversion bis hin zum Endowment-Effekt sind in der Psychologie diverse irrationale Denkmuster bekannt, bei denen wir den Status-Quo nur deshalb vorziehen, weil er der Status-Quo ist.

Die Thematik der künstlichen Erhöhung menschlicher Intelligenz ist enorm komplex. Zum einen sind weder alle möglichen Folgen bekannt, noch ist klar, ob die möglichen Konsequenzen insgesamt positiv oder negativ sind. Eine rigorose wissenschaftliche oder gar logisch-deduktive Vorgehensweise ist an dieser Stelle nicht möglich. Also muss bei der Betrachtung dieser Thematik unweigerlich die subjektive moralische Einschätzung eine Rolle spielen. Das ist grundsätzlich kein Problem, aber wenn man schon auf persönliche Standpunkte zurückgreifen muss, ist es unumgänglich, die kognitiven Verzerrungen herauszufiltern.

“A tool now exists for diagnosing status quo bias. While some reliance on intuitive judgment is unavoidable, there is no excuse for failing to test our intuitions with the most sophisticated methods available.” – Nick Bostrom und Toby Ord in ihrem Paper „The reversal test: Eliminating status quo bias in applied ethics.“

Genauso einen Filter stellt der Umkehrtest der beiden Oxford-Philosophen dar. Wenn jemand die Erhöhung menschlicher Intelligenz als nicht wünschenswert erachtet, sich gleichzeitig aber gegen eine Senkung desselben Parameters ausspricht, ist die Gefahr des Status-Quo-Bias recht hoch. Nun liegt die Beweisschuld nämlich beim Kritiker. Wieso ist unter allen möglichen Levels menschlicher Intelligenz genau das aktuelle Niveau optimal? Wie kann eine evolutionäre Entwicklung, die vor allem von Umweltfaktoren der Vergangenheit beeinflusst ist, das perfekte Intelligenzmaß für unsere hochkomplexe und technologisierte Welt ermitteln?

Wenn der Kritiker gute Antworten auf diese Fragen liefern kann, umso besser. Wenn er das aber nicht kann, dann ist sein Standpunkt wohl mehr von Status-Quo geprägt als von intelligenten Abwägungen.

Tatsächlich kann man den Umkehrtest aber noch verfeinern, indem man ihn verdoppelt. Man nehme an, ein Virus reduziert das durchschnittliche Niveau menschlicher Intelligenz. In diesem Fall ist es doch sicherlich wünschenswert, das Niveau künstlich anzuheben, um den optimalen Status-Quo zu bewahren. Nach einigen Jahren wird ein Medikament gegen den Virus entwickelt, nach Einnahme des Medikaments würde das Intelligenzniveau also von selbst auf den alten Wert zurückkehren. Soll man jetzt auch die künstlichen Maßnahmen zum Anheben der Intelligenz rückgängig machen?

Dieser doppelte Test illustriert das Paradox des Status-Quo. Zum einen bezieht sich der Satus-Quo auf den aktuellen Stand der Dinge – so zum Beispiel den aktuellen Level intellektueller Fähigkeiten. Zum anderen bezieht sich der Status-Quo auf das Gewohnte. Bei dem Doppeltest stehen diese beiden Verständnisse im Wettbewerb – soll man zum alten Status-Quo zurückkehren, oder beim neuen Status-Quo bleiben.

Unabhängig vom Thema der künstlichen Intelligenzanhebung ist der einfache sowie doppelte Umkehrtest auch in vielen anderen Entscheidungs- und Denksituationen ein sehr potentes Werkzeug.[i] Alexander Schatten spricht in diesem Zusammenhang von Status Dominanz. Wenn eine Technologie oder gesellschaftliche Verhaltensweise – wie das Autofahren oder der Konsum von Alkohol und Tabak – sich erst einmal etabliert hat, betrachten wir die Sache viel unkritischer als noch vor der Etablierung.

Um genau dieser kognitiven Verzerrung nicht zum zu Opfer fallen, kann der heuristische Filter des Umkehrtests enormen Mehrwert bieten.

Zum Weiterlesen und Weiterhören:

https://www.nickbostrom.com/ethics/statusquo.pdf

https://www.youtube.com/watch?v=Gqdo57uky4o

https://podcast.zukunft-denken.eu/e/023-frozen-accidents/

[i] Es gibt natürlich noch diverse Argumente, die man gegen derartige Maßnahmen zur Intelligenzanhebung anführen kann. In diesem Artikel liegt der Fokus auch nicht auf dem Thema selbst, sondern auf der hilfreichen Denk-Heuristik.