Teufelskreis Korruption – Kongo & Flüsse
“The Congo has diamonds, tin and other rare metals, the world’s second-largest rainforest and a river whose flow is second only to the Amazon. In addition to this natural wealth the city possesses many attributes that should help a modern economy thrive: it shares a time zone with Paris, the people here speak a major European language (French), and the population is young and growing.” – Richard Davies in seinem Buch „Extreme Economies: Survival, Failure, Future – Lessons from the World’s Limits.”
Gemessen an natürlichen Ressourcen und anderen ökonomischen Faktoren sollte die Demokratische Republik Kongo eine wirtschaftlich florierende Nation sein. Doch die Arbeitslosenrate lag in den letzten 20 Jahren nie unter 44%, im Normallfall liegt sie sogar über 60 Prozent. Die Menschen leben in Armut, Wirtschaft und Politik sind von Korruption durchzogen und nach den Merkmalen einer modernen Metropole sucht man in der Hauptstadt Kinshasa vergeblich.
Den Grundstein für diese enttäuschende Entwicklung hat der belgische König im 19. Jahrhundert mit einem unfassbaren Maß an Ausbeutung und Brutalität gelegt. Bis er die Kolonie 1908 dem belgischen Staat übergab, sind unter seinen genozidartigen Maßnahmen circa 12 Millionen Kongolesen ums Leben gekommen.
1965, gerade einmal 5 Jahre nach Unabhängigkeit der Republik Kongo, kam der 35-jährige Mobutu im Zuge eines Militärcoups an die Macht. Er führte eine neue Währung ein, begann große Industrieprojekte, versuchte die Landwirtschaft zu revolutionieren. Seine Maßnahmen, die in den ersten Jahren vielversprechend aussahen, entpuppten sich aber bald als ökonomische Katastrophe und stürzten die Demokratische Republik Kongo endgültig in den Ruin.
Doch neben einer ökonomisch prekären Lage hinterließ der ehemalige Diktator auch eine Kultur der Korruption, die dem Land bis heute als großer Bremsklotz anhaftet. Denn in seinen Reden verurteilte Mobutu zwar die Korruption, sprach aber auch davon, dass minimale Eingriffe in den „Fluss des öffentlichen Lebens“ kein Problem seien.
Steuern werden in Kinshasa täglich eingehoben. Ergänzend zu den ohnehin schon korrupten offiziellen Abgaben, verlangen die Beamten in der Regel auch noch Rabatte oder gar kostenlose Lebensmittel und Dienstleistungen. Die Polizei errichtet spontane Straßensperren und hält je nach Belieben Autos auf, die dann eine kleine Abgabe zu leisten haben. Im Sommer müssen die Eltern schließlich noch einmal etwas tiefer in die Taschen greifen – auch die Lehrer wollen etwas vom „Fluss des öffentlichen Lebens“ abhaben, nur dann sind sie bereit entsprechende Zertifikate und Zeugnisse zu vergeben.
Diese Korruption ist nicht nur ein Problem, weil sie den Menschen das Geld aus der Tasche zieht. Sie bedeutet auch eine Verschwendung von Ressourcen. Innovative junge Menschen erfinden statt neuen Produkten und Dienstleistungen hinterlistige Wege, mit denen sie den Steuern entgehen können. In vielen Fällen ist eine Karriere als Polizist oder Steuerbeamter attraktiver als wirtschaftlich produktivere Tätigkeiten, denn die Korruption bietet zumindest ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Stabilität.
Allerdings sind weder korrupte Lehrer noch opportunistische Polizisten in Kinshasa verhasst. Diese Menschen können mit ihrem eigentlichen Gehalt nicht überleben. Sie sind angewiesen auf die Abgaben ihrer Mitbürger und die Bürger nehmen das im Normalfall auch ohne Proteste hin. Dennoch fehlt die gegenseitige Vertrauensbasis und die Demokratische Republik Kongo befindet sich in einem Teufelskreis.
Wegen der hohen Abgaben in der formellen Wirtschaft floriert der Schwarzmarkt. Ein großer Teil der Wirtschaft spielt sich also ohne offizielle Besteuerung ab. Damit fehlt dem Staat die nötige wirtschaftliche Kraft, um Lehrern und anderen Beamten ausreichend hohe Gehälter zu zahlen. Die Beamten beginnen also, mit eigenen inoffiziellen Abgaben ihr Leben zu finanzieren. Das wiederum fördert aber den Drang der anderen Menschen zu geheimem Handel und verdeckter Wertschöpfung und reduziert abermals die Steuereinnahmen des Staates.
Mit seiner Aussage, dass ein geringfügiges Teilhaben am „Fluss des öffentlichen Lebens“ kein Problem sei, hat Mobutu also einen Teufelskreis der Korruption und Illegalität in Gang gesetzt. Immer mehr Menschen versuchen ihren Teil von diesem Fluss abzuschöpfen. Damit wandert ein immer größerer Part des Flusses in die Becken des Illegalen und Geheimen. Das erhöht abermals die wirtschaftliche Not der Menschen und damit auch das Bedürfnis, selbst etwas vom Fluss abzuschöpfen.
Zum Weiterlesen:
Davies, Richard: Extreme Economies: Survival, Failure, Future. Lessons from the World’s Limits. London: 2019.