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Komplementärgüter marginalisieren

Vertikale Integration ist gerade im E-Commerce eines der potentesten Buzzwords des letzten Jahrzehnts. Man bringt die ganze Wertschöpfung ins eigene Unternehmen – von der Produktion bis hin zum Verkauf der Güter.

Im Optimalfall führt geschickte vertikale Integration zu einer Monopolstellung, bei der man alle Aspekte der Wertschöpfungskette kontrolliert. Doch vertikale Integration ist aufwendig, führt zu hoher Komplexität und erregt bei Erfolg das Aufsehen der Kartellämter.

Gerade für junge und schlanke Unternehmen ist diese Vorgehensweise in der Regel also keine valide Strategie.[i]

Im Technologiebereich arbeiten viele Unternehmen mit dem scheinbaren Gegenteil von vertikaler Integration. Große Technologiekonzerne investieren regelmäßig in Open-Source-Projekte, bieten Entwicklern freien Zugang und veröffentlichen Know-How.

Der Grund für dieses Verhalten ist aber in der Regel eher nicht der Altruismus von Technologie-Managern. Vielmehr geht es um ein Phänomen, welches Joel Spolsky als das Marginalisieren der Komplementärguter bezeichnet.

Die Logik ist einfach. Wenn mehr günstige Apps im Appstore sind, wird das iPhone attraktiver. Wenn mehr Unternehmen mit Machine-Learning-Anwendungen experimentieren, steigt der Bedarf nach den Servern von Google und Co.

Komplementärgüter sind Güter, die sich ergänzen. Wenn ein Komplementärgut günstiger oder besser wird, steigt automatisch die Nachfrage nach dem komplementären Gut.

Die scheinbar selbstlosen Investments von Technologiefirmen haben also ein ganz klares Ziel: Die Komplementärgüter marginalisieren und dadurch die Nachfrage nach den eigenen Produkten steigern.

„Another way that I like to express that is "create a desert of profitability around you".” – ucaetano in einem Hacker-News-Forum.

Das Marginalisieren der Komplementärgüter hat neben einem Anstieg der Nachfrage noch einen weiteren Vorteil: Man kreiert eine Wüste der Profitabilität rund um das eigene Unternehmen.

Die Apps im App-Store machen vor allem Apple reich und nicht die Entwickler. Indem Unternehmen in Komplementärgüter investieren und die Produktion solcher Güter vereinfachen, steigern sie den Wettbewerb im Markt dieser Produkte. Mehr Wettbewerb bedeutet geringere Preise und weniger Profitabilität für die Wettbewerber.

Durch die Wüste der Profitabilität verhindert man, dass sich starke Unternehmen im Markt für Komplementärgüter entwickeln. Man reduziert also den Wettbewerb für sich selbst, indem man den Wettbewerb für die anderen intensiviert.

Und das Beste daran: Von außen betrachtet sieht niemand, dass man den Wettbewerb manipuliert. Nein, vielmehr wird man als freiheitsliebendes Unternehmen wahrgenommen, das aus reinem Altruismus in Open-Source-Projekte investiert. Genial.

Zum Weiterlesen:

https://www.gwern.net/Complement

https://www.joelonsoftware.com/2002/06/12/strategy-letter-v/

[i] Insofern es um Produkte geht, die etwas komplexer als Matratzen und Handtaschen sind.