Mathematiker und Künstler – ein Erbstreit
“A mathematician, like a painter or a poet, is a maker of patterns. If his patterns are more permanent than theirs, it is because they are made with ideas. A painter makes patterns with shapes and colors, a poet with words. A painting may embody and ‘idea’, but the idea is usually commonplace and unimportant.” - der britische Mathematiker Godfrey Harold Hardy in seinem geistreichen Essay “A Mathematician’s Apology”.
Der Unterschied zwischen einem Mathematiker und einem Künstler beziehungsweise Lyriker liegt darin, dass der Mathematiker die Idee selbst produziert, während Künstler und Poeten nur Abbilder von Ideen kreieren. In vielen Fällen sind die Ideen in Kunstwerken und literarischen Werken eher oberflächlich, die besten Kunstwerke verkörpern mit Sicherheit auch tiefere Ideen, doch die Idee an sich wird selten als Kunstwerk geboren.
„Poetry is not the thing said but a way of saying it.” - der britische Poet Alfred Edward Housman.
Während es mit Sicherheit auch in Kunst und Literatur eine Rolle spielt, welche Idee verkörpert wird, ist der entscheidende Punkt die Art und Weise der Verkörperung, durch welche sich gute Künstler auszeichnen.
Bei der Mathematik spielt die Idee an sich eine viel entscheidendere Rolle, was sie in gewisser Weise permanenter macht. Gleichzeitig ist das mathematische Werk dadurch auch anonymer. Im Satz des Pythagoras steckt eine mathematische Wahrheit, aber nichts vom Mathematiker Pythagoras. Durch den reinen Fokus mathematischer Werke auf die Idee wird der Werkersteller irrelevant.
Aufbauend auf diesem Gedanken vergleicht G. H. Hardy das Erbe eines Mathematikers mit einer enorm großen Statue, die man auch aus jahrhundertelanger Entfernung noch sehen kann. Das Erbe der meisten Künstler hingegen nimmt die Form einer kleineren dafür aber viel detailreicheren Statue an. Wer also die kleine Statue des künstlerischen Erbes sieht, wird immer auch den Künstler sehen, der dahinter steckt, er hat sich in den vielen Details verewigt. Beim mathematischen Erbe hingegen ragt die Idee so weit über alles hinaus, dass man den Mathematiker der dahinter steckt nicht mehr erkennt.
Kunst und Literatur bestehen also aus dem Erscheinungsbild einer Idee, während die Mathematik die Idee an sich zum Gegenstand hat. Das macht die Mathematik permanenter, dafür spiegelt sich im Erscheinungsbild immer auch der Künstler wieder, sein Erbe ist also weniger permanent dafür aber intensiver.
Zum Weiterlesen:
Hardy, Godfrey: A Mathematician’s Apology. Cambridge: 1940.