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Normgleichgewicht – Steuer, Fleisch & Impfen

„There's two different equilibria. One is, everybody does the right thing, and if you don't do the right thing you are a bad person. The second equilibrium is: Nobody does the right thing, and if you do the right thing, you are an idiot.” – Michael Munger im EconTalk Podcast.

Wenn man das gesellschaftliche Treiben in verschiedenen Ländern zu verschiedensten Zeitpunkten in der Geschichte beobachtet, lässt sich genau dieses Norm-Phänomen immer wieder beobachten.

Wenn ein bestimmtes Verhalten oder ein Gesetz von einer Gesellschaft akzeptiert wird, erntet man schiefe Blicke, wenn man sich anders verhält und hat mit Konsequenzen zu rechnen, wenn man das Gesetz bricht. Insofern stabilisiert sich diese Handlungsweise durch das gesellschaftliche Normverständnis praktisch von selbst.

Wenn das Gesetz aber von der breiten Gesellschaft ignoriert wird, erntet derjenige schiefe Blicke, der sich daran hält.

Als Beispiel für dieses Phänomen nennt Michael Munger Chile und Argentinien. In Argentinien nimmt man es mit den Steuern ziemlich lax, nur rund 60% der steuerlichen Pflichten werden erfüllt. Als man einmal einen Werbespot mit berühmten Argentiniern machen wollte, um die Leute zum Steuerzahlen zu motivieren, musste man den Spot binnen weniger Tage wieder streichen – keiner der Schauspieler hatte seine Steuern pflichtgerecht gezahlt.

In Chile, wo der Staat ähnliche Beträge in die Steuereinhaltung investiert wie in Argentinien, liegt die Einhaltungsquote bei 99%. Wer dort keine Steuern zahlt, gilt als Krimineller.

Der spannende Punkt an beiden Gleichgewichten, sowohl dem positiven als auch dem negativen, ist, dass sie sich selbst verstärken und sehr stabil sind. In der Spieltheorie würde man davon sprechen, dass sie self-enforcing sind. Das macht es so schwer, in Staaten mit einer Kultur von Steuerbetrug zu mehr Steuerehrlichkeit zu kommen.

Doch nicht nur in Bezug auf Steuern, sondern auch mit Blick auf so ziemlich jedes andere Verhalten, erschwert die gesellschaftliche Selbststabilisierung von Normen den Aufbruch zur Veränderung. Dabei ist meist irgendein prägendes und einschneidendes Erlebnis nötig, um einen Wechsel im Verhalten zu bewirken.

So muss man nach dem Coronavirus wahrscheinlich nie mehr erklären, warum man seine Kinder impfen lässt, dafür werden sich alle Impfgegner (insofern es solche noch gibt) mit einer starken gesellschaftlichen Gegenbewegung konfrontiert sehen.

Wenn die Zahl der Klimakatastrophen weiter steigt, wird man nicht mehr erklären müssen, warum man kein Fleisch isst, sondern schiefe blicke und Kritik ernten, wenn man Fleisch isst.

Auch in Bezug auf die Wirtschaft muss man gerade im akademischen Bereich mehr Aufmerksamkeit auf die Macht der Normen richten. Nicht alle Anreizsysteme müssen monetärer Natur sein. Gesellschaftliche Normen gehören zu den potentesten Anreizsystemen die es gibt. So werden in Zukunft effektive Systeme, die zu einer Veränderung des Normgleichgewichts in der Gesellschaft führen, einen enormen Mehrwert bieten, da die Anforderungen an schnelle und drastische Verhaltensänderungen womöglich immer größer werden.

Zum Weiterlesen:

https://www.econtalk.org/michael-munger-on-crony-capitalism/