Technologien schreiben Biografien
Die Art und Weise der Informationsübertragung ist keine Nebensächlichkeit, sondern beeinflusst ganz entscheidend, wie die Information beim Empfänger ankommt. Doch nicht nur die Nachricht wird durch das Medium verändert. Medien und Kommunikationstechnologien verändern auch, welche Nachrichten überhaupt produziert werden. Medien verändern Menschen.
Wie César A. Hidalgo et al. in ihrem Paper „How the medium shapes the message: Printing and the rise of the arts and sciences” zeigen, haben Veränderungen der Medienwelt in der Vergangenheit immer auch zu einem Wandel der einflussreichsten Personen geführt.
Dabei haben die Wissenschaftler einen sehr spannenden Ansatz verfolgt. Aus Wikipedia und einer anderen großen Datenbank haben sie die Biografien einflussreicher Menschen der letzten Jahrhunderte herausgefiltert. Anschließend haben sie diese Biografien mit den drei großen Medienrevolutionen verglichen: dem Buchdruck im 15. Jahrhundert, Radio- und Film zu Beginn des 20. Jahrhunderts und Fernsehen gegen Mitte des 20. Jahrhunderts.
Dabei haben Hidalgo und Kollegen die Entwicklung der Biografien pro Kopf untersucht. Sie haben also nicht die absolute Zahl an einflussreichen Personen gemessen, sondern die Anzahl relativ zur Gesamtbevölkerung.
Die Ergebnisse ihrer statistischen Analyse sind erstaunlich: Vom Jahr 1 bis ins Jahr 1500 war die Anzahl an Biografien pro Kopf relativ konstant. Nach der Einführung des Buchdrucks stieg dieser Wert um mehr als 50% an.
Überraschend ist aber nicht nur der Anstieg selbst, sondern vor allem die Art des Anstieges. Vor 1500 gab es vor allem Biografien von wichtigen Menschen im Politischen und Religiösen. Die Anzahl der Biografien pro Kopf derartiger Menschen sind nach 1500 aber nicht relevant angestiegen. Der Anstieg kommt vielmehr dadurch zu Stande, dass durch den Buchdruck eine ganz neue Gruppe von Stars Einzug erhalten hat: Wichtige Autoren, Maler und Wissenschaftler gab es plötzlich in einem viel größeren Ausmaß.
Ein gleiches Bild liefert die Einführung von Radio- und Film, nach welcher die Anzahl an Schauspielern, Sängern und Musikern signifikant anstieg. Auch die Einführung vom Fernsehen brachte eine sprunghafte Entwicklung und zwar vor allem im Bereich der Sportstars.
Noch eindrucksvoller: Staaten mit mehr Radios und TV-Geräten pro Person haben statistisch gesehen auch mehr Sportstars und Filmstars hervorgebracht.[i]
Auch beim Buchdruck konnte ein derartiger Effekt erkannt werden. Dazu haben die Wissenschaftler den Abstand zur Stadt Mainz – der Geburtsstätte des Buchdrucks – als Maßstab herangezogen. Die Ergebnisse sind abermals erstaunlich. Der Abstand zu Mainz und die Anzahl an berühmten Personen in einer gewissen Stadt hingen vor 1450 in keiner Weise zusammen. Nach 1450 zeigt sich ein ganz anderes Bild: Städte, die näher bei Mainz sind, hatten einen schnelleren und stärkeren Anstieg an einflussreichen Personen als andere Städte.
Die Erkenntnisse der Wissenschaftler sind nicht für den Medienbereich relevant, sondern haben auch eine ganz allgemeine Aussagekraft in Bezug auf technologische Entwicklungen. So werden Technologien zwar von Menschen gemacht, verändern schlussendlich aber selbst, welche Menschen gemacht werden.
Zum Weiterlesen:
https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0205771
[i] Diese Daten sind bereits um länderspezifische Effekte wie die Bevölkerungsgröße oder das BIP bereinigt. Hierbei handelt es sich also um einen statistisch sehr sauberen Zusammenhang.