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Vorstellungsbilanz & Kristalle

Information ist der Ursprung des Lebens. Tiere oder Pflanzen sterben nicht, weil ihre Atome sich in Luft auflösen. Sie sterben, weil die Anordnung der Atome sich verändert – die Information verändert sich.

Genauso besteht der Wert eines Lamborghinis nicht in seinen Atomen. Ein geschrotteter Lamborghini hat zu einem großen Teil die gleichen Atome wie einer, der gerade aus der Fabrik kommt. Es ist die Anordnung der Atome, die den Wert bestimmt – es ist die Information.

Sowohl Äpfel als auch Apple-Produkte sind dementsprechend nicht viel mehr als eine Verkörperung von Information. Doch es gibt einen Unterschied zwischen der Information eines iPhones und der Information eines Apfels: Das iPhone verkörpert Information, die unserer Vorstellungskraft entspringt.[i]

„Thinking about products as crystals of imagination tells us that products do not just embody information but also imagination. This is information that we have generated through mental computations and then disembodied by creating an object that mimics the one we had in our head.” – César Hidalgo in seinem Buch “Why information grows. The evolution of order, from atoms to economies.”

Der chilenische Physiker César Hidalgo bezeichnet Produkte wie das iPhone als Kristalle der Vorstellung. Sie sind das Resultat menschlicher Vorstellungskraft – das Resultat unserer Geistesarbeit.

Der Apfel und das iPhone unterscheiden sich also nicht darin, dass sie Information verkörpern. Der Unterschied besteht in der Herkunft der Information.

Diese Unterscheidung ist enorm wichtig, da Kristalle der Vorstellung sich gegenseitig begünstigen. Ein Land mit viel Know-How wird also stets in der Lage sein, neue Vorstellungskristalle zu produzieren. Im Gegensatz dazu ist eine Nation mit vielen natürlichen Rohstoffen nicht automatisch in der Lage, immer weitere Rohstoffe zu generieren.

Aus diesem Gedanken heraus schlägt Hidalgo eine Alternative zur weithin bekannten Handelsbilanz vor. Denn weitaus elementarer als die Handelsbilanz ist die Vorstellungsbilanz.

2012 exportierte Chile Güter im Wert von 4.6 Milliarden US-Dollar nach Korea. Die Importe aus Korea betrugen lediglich 2.5 Milliarden. Chile hatte also eine positive Handelsbilanz mit Korea.

Die Vorstellungsbilanz war aus Sicht Chiles aber enorm negativ. Denn Während die Chilenen vor allem Kupfer exportierten, importierten sie Autoteile und Autos aus Korea. In Kupfer ist so gut wie keine menschliche Vorstellungskraft enthalten, in den Autoteilen hingegen schon.[ii]

Die Vorstellungsbilanz entspricht auch eher unserer wirtschaftlichen Intuition: Länder, die sich nur auf Rohstoffe verlassen, haben auf lange Sicht schlechtere wirtschaftliche Entwicklungsaussichten.

Zum Weiterlesen:

Hidalgo, César: Why information grows. The evolution of order, from atoms to economies. Philadelphia: 2015.

[i] Falls wir in einer Simulation leben, verkörpert auch der Apfel Vorstellungskraft. Davon gehen wir in diesem Artikel aber nicht aus.

[ii] Im Wert von Kupfer ist allerdings schon ein beachtlicher Teil an Vorstellung enthalten. Kupfer, Erdöl und andere Rohstoffe sind schließlich nur deshalb wertvoll, weil Wissenschaftler und Unternehmer Vorstellungskristalle entwickelt haben, die derartige Rohstoffe benötigen.