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Zensur der Existenz

Traditionellerweise orientieren sich Wissenschaftler bei der Einschätzung von Naturkatastrophen stark an historischen Daten.

Um zu ermitteln, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer bedrohlichen Asteroiden-Kollision ist, sieht man sich die Größe früherer Einschlagkrater an.

Viele halten die möglichen Risiken von Teilchenbeschleunigern für vollkommen unbedenklich, weil im Umfeld der Erde schon immer hoch energetische Teilchenkollisionen stattgefunden haben und die Erde davon nie zerstört wurde.

Doch wie der serbische Astronom Milan M. Ćirković und Kollegen in ihrem Paper „Anthropic shadow: observation selection effects and human extinction risks“ darlegen, zeichnen sich all diese Einschätzungen durch einen drastischen Fehler aus, sobald man es mit existenziellen Risiken zu tun hat.

Nehmen wir als Beispiel einen Asteroideneinschlag der mit einer Wahrscheinlichkeit von 100% zur Extinktion der Menschheit führt. Aus unsere empirischen Beobachtungen scheint ein derartiger Einschlag ziemlich unwahrscheinlich.[i]

Logischerweise verzerrt aber der Fakt, dass wir existieren, unseren Blick auf die Dinge. Unsere eigene Existenz ist eine Art Zensurmaschine. Der Fakt, dass wir leben, verhindert, dass wir historische Events analysieren können, die uns ausgelöscht hätten.

Wenn wir Menschen also auf Basis empirischer Daten die Wahrscheinlichkeit existenzieller Risiken ermitteln, liegt ein anthropologischer Schatten über den Daten.

Aus diesem Grund empfehlen Ćirković und Kollegen einen verstärkten Fokus auf theoretische Arbeit. Anstatt also die Vergangenheit zu betrachten, um die Möglichkeit eines Ereignisses zu evaluieren, sieht man sich fundamentale Gesetz sowie aktuelle Daten an und ermittelt daraus die Wahrscheinlichkeiten.

Zum Weiterlesen:

https://www.stat.berkeley.edu/~aldous/157/Papers/cirkovic.pdf

[i] Gemäß dem Satz von Bayes muss die Wahrscheinlichkeit der Extinktion gar nicht 100% betragen, um unsere Sicht zu verzerren. Schon eine Wahrscheinlichkeit von 10% oder weniger würde unsere Sicht verzerren.