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Chamäleons – die Filtervermeider

Ob ein Modell sinnvoll ist oder nicht, hängt nicht nur vom Modell selbst ab, sondern vor allem auch von der Perspektive. Es kommt ganz darauf an, welchen Zweck ein Modell erfüllen soll.

Ein Modell kann dazu dienen, irgendein theoretisches Konzept zu untersuchen, sich in einem fiktiven Raum mit einer Fragestellung zu beschäftigen. Man kann das als normatives Modell bezeichnen. Bei einem normativen Modell besteht keine Verbindung mit der Realität, weshalb alle Annahmen zulässig sind.

Ein Modell kann dazu dienen, eine Situation der Realität möglichst gut zu beschreiben und im besten Fall auch Prognosen zu treffen. So ein deskriptives Modell muss sich einer strengen Untersuchung unterziehen, denn nur wenn die Annahmen des Modells der Realität nicht widersprechen, kann es aus deskriptiver Sicht sinnvoll sein.

Ein Modell kann dazu dienen, Entscheidungsträgern, wie Politikern oder Managern, Empfehlungen zu geben oder Vorschläge zu machen. Solche Modelle müssen am strengsten überprüft werden, da mögliche realitätsferne Annahmen, die zu unrealistischen Ergebnissen führen, in der Realität drastische Konsequenzen haben können.

Problematisch wird es, wenn ein ursprünglich normatives Modell und dessen rein theoretische Ergebnisse, präskriptiv oder deskriptiv verwendet werden, ohne dass man die Annahmen des Modells einer strengen Kontrolle unterzieht.

Paul Pfleiderer spricht genau dieses Problem der Chamäleons in seinem Paper „Chameleons: The misues of theoretical models in finance and economics“ an, zu welchem ich in Bezug auf Als-Ob-Modelle bereits einen Artikel verfasst habe.

Chamäleons sind Modelle, welche rein theoretisch und ohne Anspruch auf realistische Annahmen kreiert werden. Über die Medien und manchmal auch die Wissenschaftler selbst, werden die Schlussfolgerungen dieser Modelle, die eigentlich nur in der Modellwelt gelten und mit der Realität nichts zu tun haben, aber veröffentlicht, ohne anzumerken, dass es sich um rein theoretische Schlussfolgerungen handelt. Es werden also rein normative Schlussfolgerungen und Ergebnisse als realitätsnahe und präskriptiv sowie deskriptiv relevante Konklusionen verkauft.

Wenn dann aber jemand anspricht, dass die Modelle unrealistische Annahmen treffen, wird darauf hingewiesen, dass es sich um theoretische Modelle handelt, deren Annahmen man nicht hinterfragen darf.

Die Modelle wandeln also wie ein Chamäleon je nach Umgebung das Erscheinungsbild. Wenn es darum geht, die eigenen Schlussfolgerungen zu präsentieren, tut man das im Kleid eines präskriptiv oder deskriptiv relevanten Modells. Wenn es darum geht, dass die Annahmen des Modells nach ihrer Haltbarkeit überprüft werden, stellt man das Modell als rein normativ dar.

Durch diesen Prozess, der vor allem in den Wirtschaftswissenschaften, ob bewusst oder unbewusst, sehr oft abläuft, entkommen viele unrealistische Modelle dem Filter, den jedes Modell vor der Anwendung in der Praxis durchlaufen muss beziehungsweise müsste.

Zum Weiterlesen:

Rieck, Christian: Spieltheorie. Eine Einführung. Eschborn: 2010.

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/ecca.12295