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Messen bis zum Tod

«Es ist vollkommen offensichtlich, dass man die Finanzierung im Gesundheitssystem auf Basis von Performance und Leistung gestalten muss. Krankenhäuser und andere Anbieter, die Mittel vom Staat erhalten, sollen diese Mittel auf Basis ihrer Ergebnisse bekommen und nicht auf Basis der Ressourcen, die sie verlangen. Wenn Privatpersonen selbst oder Versicherungen für eine Leistung zahlen, dann sollen sie nicht für die Aktivität an sich, sondern das Ergebnis zahlen.»

Viele würden dieser Aussage intuitiv zustimmen. Klar. Scheint irgendwie sinnvoll, das Gesundheitssystem nach Performance zu bezahlen. Nur so kommt das Geld dorthin, wo es hingehört.

Laut dem OECD-Paper „Can performance measurement make health care systems more sustainable? Or at least more efficient?” vom Dezember 2019 ist genau das der falsche Ansatz.

Der Fehler an dieser Idee?

Sie basiert auf einer fiktiven Vorstellung davon, wie so ein System funktioniert, während die Realität eine ganz andere ist.

Nachhaltigkeit

Vor allem wenn es um performancebasierte Budgetierung von Seiten des Staates geht, muss man ganz klar zwischen Nachhaltigkeit auf der einen und Effizienz auf der anderen Seite unterscheiden. Effizienz ist eine Größe um die sich Experten Gedanken machen, die sich das ganze System auf einer Makro-Ebene ansehen.

Nachhaltigkeit ist in diesem Zusammenhang die Fähigkeit des Systems, finanzielle Mittel von der Politik zu lukrieren.

Und gerade beim Bereich der Nachhaltigkeit scheint es absurd zu glauben, dass die Performance oder auch transparentes Reporting der Performance einen positiven Einfluss haben könnte. Erstens betrachten Wähler nicht das gesamte Gesundheitssystem auf einer Makro-Ebene, sondern denken, handeln und wählen auf Basis ihrer persönlichen Erfahrungen. Effizienzgewinne im Gesamtsystem sind also irrelevant.

Transparentes Reporting führt dazu, dass sowohl positive als auch negative Entwicklungen offengelegt werden. Wer Medien und Menschen kennt weiß, dass die negativen Entwicklungen immer viel stärker wahrgenommen werden als die positiven.

Auch werden objektive Verbesserungen nicht immer wahrgenommen. Wenn die Erwartungshaltung an das Gesundheitssystem schneller wächst, als die Verbesserungen, wird das System zwar objektiv gesehen besser aber subjektiv empfunden schlechter.

Effizienz und Performance ist ein ökonomisches Problem, Nachhaltigkeit und Budgetfinanzierung ein politisches und damit ist die Annahme eines direkten Zusammenhangs schlichtweg naiv.

Messungen

Noch viel wichtiger als die politische Komponente der Finanzierung ist aber, dass so ein System an einem essentiellen Punkt scheitert. So ein System scheitert an Messungen und Metriken.

Gerade bei den komplexen Sachverhalten, denen man im Gesundheitssystem begegnet, ist es enorm schwer einheitliche Metriken zu gestalten, die einem objektiv Auskunft über die wirkliche Performance geben. Genau das ist aber bei einem performance-basierten Finanzierungsmodell essentiell.

Was gemessen wird ist nicht gleich dem, was geleistet wird. In der Praxis verkommt eine performance-basierte Finanzierung oft zu einer Finanzierung auf Basis der Performance-Präsentation. Es besteht die Gefahr, das messbare Ziel zu erreichen, aber den Sinn des Ganzen – eine bessere Leistung für den Kunden – zu verfehlen.

Als ein Beispiel wird in dem OECD-Paper eine Augenklinik genannt, die es geschafft hat, die Wartezeiten drastisch zu reduzieren. Die Methode? Man hat weniger neue Patienten aufgenommen und Nachuntersuchungen nach hinten verschoben. Das Resultat? 25 Erblindete im Laufe von zwei Jahren.

Außerdem ist die Leistungsmessung auf Basis des Ergebnisses absolut unzureichend, weil man die Anfangsbedingungen miteinbeziehen muss. So bekommen Krankenhäuser mit gutem Ruf oft die schwersten Fälle. Ihre Ergebnisse müssen also schon aufgrund des Anfangszustandes der Kunden schlechter sein als in anderen Krankenhäusern.

Dann muss man halt den Anfangszustand in die Messungen miteinbeziehen. Ja klar, und wer stellt die Anfangsdiagnose? In der Regel der behandelnde Arzt, dessen Kunden ab sofort natürlich alle schwerkrank sind.

Und selbst wenn man passende Metriken findet ist Dokumentation und Reporting nicht ohne Kosten. Schon heute gibt es immer wieder Berichte, dass Ärzte mehr Zeit mit der Dokumentation als mit der Behandlung verbringen.

Pauschalisierung

Natürlich heißt das nicht, dass Leistungsmessung und ein gewisses Maß an Dokumentation keine wichtige Rolle spielen. Allerdings dürfen diese Daten nicht steuernd eingesetzt werden, sondern nur informierend. Wenn etwas Sonderbares auffällt, dann muss man sich die Situation näher ansehen, nur auf Basis der Daten Finanzierung zu streichen oder zu erhöhen ist aber zu kurz gedacht.

Auch muss man zwischen den Aktivitäten unterscheiden. In den Niederlanden beispielsweise gab beziehungsweise gibt es in Bezug auf leistungsorientierte Finanzierung Experimente rund um Diabetes Typ 2. Bei dieser Krankheit gibt es einige Best-Practices und Metriken, die alle involvierten Ärzte als sinnvoll betrachteten. Gleiche Experimente in Bereichen wie der Kardiologie sind hingegen fehlgeschlagen, da die Ärzte keinen wirklichen Konsens finden konnten.

Zum Weiterlesen:

https://www.oecd-ilibrary.org/governance/can-performance-measurement-make-health-care-systems-more-sustainable-or-at-least-more-efficient_2b3d3059-en