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Meta-Fehlschluss & Hummer

Der kanadische Psychologe Jordan B. Peterson ist wohl einer der umstrittensten Intellektuellen im Internet. Besonders bekannt sind seine Ausführungen zu Hierarchien, Religion oder dem Unterschied von Mann und Frau.

Seiner Ansicht nach sind Hierarchien gut und natürlich. Als Beleg dafür führt er die Hierarchien von Hummern an. Hummer und Menschen haben sich evolutionär vor circa 350 Millionen Jahren mit dem letzten gemeinsamen Vorfahren getrennt und entwickeln sich seither separat. Dennoch haben Hummer Hierarchien und der Bereich ihres Nervensystems, der für die Hierarchien zuständig ist, funktioniert vor allem auf Basis von Serotonin. Peterson argumentiert, dass Menschen und ihre Hierarchien auf dasselbe System zurückzuführen sind.

Doch, wie der Neurowissenschaftler vom University College London Leonor Gonçalves beschreibt, ist der Vergleich von Peterson mehr als hinkend. Zuerst einmal ist das menschliche Gehirn und Nervensystem weitaus komplexer als das von einem Hummer. Tatsächlich haben Hummer gar kein Gehirn im klassischen Sinne. Zweitens spielen beim Menschen diverse verschiedene Hormone in Bezug auf Hierarchien und soziales Verhalten eine entscheidende Rolle und nicht nur Serotonin. Drittens fungiert Serotonin beim Menschen ganz anders, als bei Hummern, was die Schwäche des Vergleiches belegt. Während Menschen mit weniger Serotonin aggressiver sind, ist genau das Gegenteil bei Hummern der Fall.

„Davon abgesehen, dass der Vergleich hinkt, würde der Vergleich selbst hinken, wenn er passend wäre.“ – diesen Satz wollte ich an dieser Stelle ursprünglich schreiben. Ich wollte darüber schreiben, dass Jordan B. Peterson einen naturalistischen Fehlschluss begangen hat.

Doch genau an diesem Punkt kommt der Meta-Fehlschluss ins Spiel, dem ich an dieser Stelle fast zum Opfer gefallen wäre. Mit allen negativen Anschuldigungen und stark wertenden Aussagen, die versuchen Wahrheit von Nichtwahrheit zu trennen, muss man sehr vorsichtig umgehen.

Wenn jeder im Netz als Nazi bezeichnet wird, der sich für eine stringente Flüchtlingspolitik einsetzt und jeder als Stalinist bezeichnet wird, der sich für einen stärkeren Sozialstaat einsetzt, verlieren diese Worte ihre Bedeutung und ihre eigentlich hilfreiche Funktion, auf etwas dezidiert Schlechtes hinzuweisen.

Doch auch „Fehlschluss“ und „kognitiver Fehler“ sind stark wertende Begriffe, die die Denkweise und Argumente eines anderen als schlicht und ergreifend falsch abstempeln. Das ist natürlich in manchen Fällen auch richtig und nützlich, man muss aber vorsichtig sein, diese Begriffe nicht zu bloßen Phrasen verkommen zu lassen.

Der Begriff des naturalistischen Fehlschlusses beispielsweise beschreibt keinen objektiven Fehlschluss. Das Konzept geht auf den britischen Philosophen George Edward Moore zurück und das grundsätzliche Argument lautet, dass es ein Fehlschluss ist, davon auszugehen, dass etwas moralisch gut ist, nur weil es natürlich ist.

Sein Argument ist auch durchaus einleuchtend und viele würden intuitiv damit übereinstimmen. Dennoch ist der Begriff Fehlschluss falsch, da sein Argument nicht objektiv wahr ist. Schließlich kann durchaus plausibel argumentieren, dass es sehr wohl einen Zusammenhang zwischen dem gibt, was natürlich ist und dem was moralisch richtig ist.

Und während es sicherlich zu einfach ist, pauschal zu sagen, dass etwas moralisch richtig ist, nur weil es natürlich ist, streitet man mit dem Begriff „Fehlschluss“ den Zusammenhang an sich ab.

Denn der Fakt, dass etwas natürlich ist mag zwar nicht ausreichend sein, um moralisch richtig zu sein, kann aber sehr wohl ein tragendes Argument dafür sein (tatsächlich würde genauso die große Gruppe naturalistischer Philosophen argumentieren).

Wenn man aber sagt, dass etwas ein Fehlschluss ist, dann ist es falsch. Etwas Falsches kann aber auch nicht als ein Argument von vielen genutzt werden. Entsprechend muss man in Argumenten sehr vorsichtig sein, den Terminus des Fehlschlusses oder kognitiven Fehlers zu verwenden.

Deshalb: Selbst wenn der Vergleich von Jordan B. Peterson korrekt ist, ist er ein unzureichendes Argument dafür, dass Hierarchien moralisch wünschenswert sind. Es handelt sich also um kein vollständiges Argument aber es ist durchaus ein Argument über das man diskutieren kann. Und weder er noch seine Kritiker können an dieser Stelle den Wahrheitsanspruch stellen, da keine der beiden Seiten in ihren Argumenten einen objektiven Fehlschluss begangen hat.

Zum Weiterlesen:

https://theconversation.com/psychologist-jordan-peterson-says-lobsters-help-to-explain-why-human-hierarchies-exist-do-they-90489

https://plato.stanford.edu/entries/moral-non-naturalism/

https://jockopodcast.com/2018/02/07/112-life-is-hard-so-what-are-you-going-to-do-12-rules-for-life-with-jordan-peterson/