Passion-Economy – neue Wirtschaft
Uber, Foodora und Co. haben in den letzten Jahren eine neue Art des Wirtschaftens erschaffen: die Gig-Economy. Die Idee dahinter: man greift auf ungenutzte Ressourcen zurück und verbindet mit Hilfe einer Plattform willige Arbeiter mit den passenden Kunden. Doch obwohl die Individualität im Anstellungsverhältnis eine große Rolle spielt – die meisten Uber-Fahrer und Essenslieferanten arbeiten auf selbstständiger Basis – geht es um einheitliche Dienstleistungen, mit dem Ziel individuelle Besonderheiten zu reduzieren, um ein konsistentes Kundenerlebnis zu erschaffen.
Während Europa noch mit den Neuheiten dieser Gig-Economy beschäftigt ist, entwickelt sich in den USA bereits eine weitere disruptive Wirtschaftswelle: die Passion-Economy.
Der Begriff stammt vom Li Jin, einer Harvard Absolventin und Partnerin bei Andreessen Horowitz. In ihrem Artikel „The Passion Economy and the Future of Work” hat sie erstmals eine Reihe neuer innovativer Unternehmen im Rahmen einer gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eingeordnet. Zu diesen Unternehmen gehören e.g. Substack, Patreon oder Skillshare.
Auf Substack bieten individuelle Autoren kostenpflichtige E-Mail-Newsletter an und verdienen damit teilweise im sechsstelligen Bereich. Auf Skillshare findet man eine große Bandbreite an digitalen Kursen über verschiedenste Themen wie Videoschnitt, Kochen oder Zeichnen. Mit Hilfe von Patreon wiederum finanzieren diverse Videomacher und Künstler ihre Produktion und können sich mehr und mehr von traditionellen Werbemodellen lösen.
Die Passion-Economy zeichnet sich im Gegensatz zur Gig-Economy durch einen starken Fokus auf die Individualität aus. Die genannten Unternehmen dienen tatsächlich nur als eine Plattform. Schlussendlich ist das Ziel eine enge Verbindung zwischen Produzenten und ihren Kunden.
Der Mehrwert der Passion-Economy ergibt sich aus drei Faktoren:
1. Nicht-Produzenten werden zur Produzenten.
2. Nicht-Konsumenten werden zu Konsumenten
3. Überforderte Konsumenten werden zu zufriedenen Konsumenten
Plattformen wie Skillshare oder Substack ermöglichen auch technisch wenig versierten Menschen, Online-Kurse und andere digitale Dienstleistungen in einer guten Qualität anzubieten. Auch der Zahlungsverkehr und Kundenkontakt wird über die Plattformen geregelt. Damit wird die digitale Wirtschaft für eine breite Schicht an Produzenten zugänglich, die ehemals von technischen Barrieren abgehalten wurde.
Gleichzeitig sind diese Dienstleistungen meist recht günstig und vor allem gibt es sie in einer großen Varietät und Individualität. Dadurch werden Kunden angezogen, die keine Kurse oder Medienprodukte in der traditionellen Form konsumieren würden.
Dazu kommt, dass in der Vergangenheit die Breite des Angebots eine sehr große Rolle spielte. Zeitungen produzieren jeden Tag massenweise Artikel, auf Social Media wird im Sekundentakt neuer Content veröffentlicht. Die Passion-Economy stellt hier einen Gegentrend dar. Ein einzelner Autor ist nicht in der Lage, mehrere Artikel pro Tag zu produzieren. In vielen Fällen gibt es nur einen Newsletter pro Woche – teilweise sogar nur einen pro Monat. Für viele Konsumenten, die in der aktuellen Medienlandschaft überfordert sind, bedeutet dieses reduzierte Angebot einen entscheidenden Vorteil.
Die Passion-Economy befindet sich – gerade in Europa – noch in ihren Kinderschuhen. Die ersten erfolgreichen Beispiele aus den USA wirken aber vielversprechend, zudem hat dieser Bereich auch alle Merkmale einer disruptiven Innovation:[i]
1. Die Leistungen der Passion-Economy sind denen der traditionellen Wirtschaft in vielen Bereichen unterlegen – sie enthalten also eine Produktverschlechterung. Online-Kurse haben im Vergleich zu typischen Weiterbildungen diverse Nachteile. Auch die fachliche Genauigkeit ist bei verifizierten Ausbildungen meist höher als bei Angeboten auf Skillshare. Die große Bandbreite an Informationen in Tageszeitungen und Magazinen sind für viele Konsumenten ein wichtiges Kaufargument und kein Nachteil.
2. Die technischen Lösungen der Plattformen sind im Vergleich zu professionellen Tools eher primitiv – schließlich sind sie auf eine technisch wenig versierte Zielgruppe zugeschnitten.
Das bedeutet auch: die alteingesessenen Player im Medien- und Ausbildungsmarkt können diesen Trend beobachten, sie werden auf den Zug aber im Normalfall nicht aufspringen, da dieser Zug ihren eigenen von den Schienen abdrängt. Je mehr Menschen Newsletter einzelner Journalisten abonnieren, desto unwichtiger wird das Produkt großer Zeitungen. Auch ergibt sich hier eine adverse Selektion: die besten Journalisten werden sich aus der Abhängigkeit lösen, was überbleibt sind jene, die als Individuen keine Followerschaft gefunden haben.
Weiterbildungsunternehmen werden nicht plötzlich beginnen, Kurse für 10 Euro auf Skillshare anzubieten und damit ihre traditionellen Kurse für 1000 Euro aufs Spiel setzen.
Zusammenfassend gesagt: Es kommt eine neue Welle und die Passion-Economy wird die Gig-Economy der 2020er Jahre.
Zum Weiterlesen und Weiterhören:
https://a16z.com/2019/10/08/passion-economy/
https://li.substack.com/p/how-the-passion-economy-will-disrupt
https://www.youtube.com/watch?v=aOv36VFoarg
[i] Falls diese Merkmale nicht geläufig sind, lohnt sich ein Blick in dieses Video des Spieltheorieprofessors Dr. Christian Rieck.